Marokko - Der Norden

Am Morgen des 17.10.2013 brechen wir in den Norden auf. Von der Todra-Schlucht führt der Weg in das Dades Tal. Hier schlängelt sich eine kleine Asphaltstraße durch eine beeindruckende Landschaft aus rote Felssäulen und überdimensionalen Kieseln. Kleine Berberdörfer und Kasbah´s scheinen sich zwischen dieser Szenerie zu verstecken.

Nach den berühmten 4 Haarnadelkurven lassen wir fast alle "Tagesgäste" auf der weiteren Strecke hinter uns, hier ist der Asphalt immer wieder durch Pistenabschnitte unterbrochen. Der Weg führt nun ausschließlich auf staubigem Weg in ein Hochtal, durch abgelegene Dörfchen in wilde Schluchten. Nach dem letzten Haus liegen 50 Kilometer Piste vor uns. Vom Zustand der Strecke hatten wir unterschiedliche Informationen erhalten. Von "pas de probleme", so ein Einheimischer, bis hin zu "tricky", der Charakterisierung eines Engländers, hörten wir so Einiges.
Nach einer langen Rampe ziehen steile, sandige Spitzkehren den Hang hinauf. Irgendwo zwischen Kehre 4 und 5 passiert es dann, Claudia stürzt und bleibt mit den Beinen unter der BMW liegen. Mit läuft ein Schauer über den Rücken. Eine ernstere Verletzung wäre hier fatal. Nur kurze Zeit danach steht sie völlig eingestaubt vor mir.

"Lediglich" zwei stark geprellt Handballen und nun auch ein "Sportkupplunghebel" sind das zu verkraftende Resultat dieses Ausrutschers.
Es dauert jedoch einige Kilometer, bis Claudia den Kopf wieder frei hat, um an den steilen ungesicherten Hängen mit gewohnter Sicherheit fahren zu können. In hochalpinem Gelände mit atemberaubenden Blicken in tiefe geschwungene Canyons überfahren wir den hohen Atlas auf 2934 Metern.


Die Piste führt nun sanft abfallend in gemäßigteres Gelände. Lange begegnen wir keinem Menschen, bis erste Bauernhütten auftauchen. Die unbefestigte Strecke ist nun so gut, das ich mit über 70 km/h über lange Rampen und sanfte wellig Abschnitte gleiten kann. Ein absoluter Genuss, hier in gemäßigten Kurven zwischen dicken Felsen, ausgetrockneten Flüssen und wilden Felswänden, die von der tief stehenden Sonne angestrahlt werden, die KTM in ihrem Element zu bewegen. Lediglich Claudia ärgert sich über den gelegentliche Blindflug den ich ihr durch lange Staubfahnen beschere.
Als wir die ersten einfachen Lehmhütten von Berbern erreichen dämmert es bereits.

Die letzen Kilometer legen wir wieder auf Asphalt in der Dunkelheit bis Imilchil zurück. Dieser Tag war fahrtechnisch und landschaftlich einer der schönsten unserer Reise.
Nördlich des Atlas hat der Herbst begonnen, hier herrscht ein völlig anderes Klima. Als wir am Morgen aufbrechen ist es noch bitterkalt. Die Täler die wir durchfahren werden von Kilometer zu Kilometer grüner, doch erst ganz langsam weichen die Berge sanften Hügeln. Die langen Pappelalleen sind bereits goldgelb gefärbt, alles riecht frisch und erdig. Nach der langen Zeit in der Wüste nehmen wir dies viel intensiver wahr.
In Azrou verlassen wir den mittleren Atlas in Richtung Fez. Der Kontrast zu den vergangenen Tagen in der Sahara könnte nicht größer sein. Zedernwälder überziehen die Hügel und herausgeputzte Orte erinnern uns an kleine deutsche Kurstädte. Nicht umsonst wird diese Gebiet die Schweiz Marokkos genannt.

In Fez habe wir dann das Glück am Rand der Medina ein Hotel in landestypischem Stil mit einem einigermaßen sicheren Abstellplatz für die Motorräder zu finden.
Wird es uns hier wie in Marrakesch ergehen?
Fast zwei Tage haben wir uns für Fez Zeit genommen, die sich, um es vorweg zu nehmen, gelohnt haben.

Von unserem Hotel ist es nur ein Katzensprung in die engen Gassen der über 1000 Jahre alten Medina, ein Gewirr aus Verkaufsstraßen, Sackgassen und versteckten Märkten. Noch heute stehen jedem öffentliche Brunnen, die mit herrlichen Mosaiken verziert sind, zum Erfrischen zur Verfügung. Es scheint wie eine Zeitreise, aber unter anderen Umständen als in Marrakesch. Die Menschen hier sind entspannt, freundlich, hilfsbereit und wir haben zu keiner Zeit das Gefühl, dass man ausschließlich nur auf eines, nämlich unser Geld aus ist. Sicherlich werden in Medina nicht nur Dinge des täglichen Bedarfs für die Bewohner zum Verkauf angeboten, dazu scheint das Geschäft mit den Besuchern viel zu lukrativ. Jedoch wird man anders als in Marrakesch nicht bedrängt den einen oder anderen Laden zu besuchen und verabschiedet sich nicht mit arabischen Schimpfworten, wenn man ihn ohne etwas zu kaufen verlässt.


Wer sich im Labyrinth der Gassen und kopfsteingepflasterten, überdachten Hohlwege nicht verirrt und den Weg zur Kairaouine Moschee, der größten Afrikas, findet, muss eigentlich immer seiner Nase folgen, um zum Gerberviertel zu gelangen.
Es ist nichts für empfindliche Geruchsorgane, denn hier wird das Leder noch wie im Mittelalter mit Schweinedung, Rinderurin und Asche behandelt, um es später mit Naturfarben wie Indigo, Safran oder Mohn zu färben.

Leider scheinen auch die Arbeitsbedingungen noch aus den zurückliegenden Jahrhunderten zu bestehen. Tag ein, Tag aus stehen die Arbeiter bis zu den Hüften in runden Tonbottichen, die mit einer ätzenden Brühe gefüllt sind.

Der überschaubare Bereich beherbergt den größten Gerberkomplex Nordafrikas.

Allabendlich treffen sich die Bewohner der Medina und Besucher in kleinen Restaurants, die direkt an die Gassen heranreichen. Hier wird so manche Köstlichkeit der vielfältigen marokkanischen Küche angeboten und man könnte stundenlang hautnah das abendliche Treiben in der Altstadt beobachten.

Wir habe nichts Gutes von einigen Teilen des Rif Gebirges gehört und wir möchten selbst herausfinden, was dort los ist. Von Fez führt zunächst eine gut befahrbare Straße in die südlichen Ausläufer dieses Gebirgszuges. Ab Taounate ändert sich das jedoch schnell. Schlaglöcher und tiefe Bodenwellen prägen immer öfters den Straßenbelag. Aber auch die Menschen scheinen hier irgendwie anders zu sein.
Wie schon im Reiseabschnitt "Der Westen" erwähnt, befindet sich hier das weltweit größte Anbaugebiet für Marihuana und daraus machen die Bewohner keinen Hehl. Unverblümt bekommen wir hier von Jung und Alt Haschisch oder Marihuana angeboten. Kein Wunder, erfreuen sich doch die weithin stark riechenden Pflanzen in kleine Bauerngärten und auf großen Anbauflächen an den Berghängen bester Gesundheit. Herbstzeit ist Erntezeit.

Je tiefer wir in die Berge hineinfahren, desto aufdringlicher werden die Menschen mit ihren Angeboten, springen uns mit Haschischklumpen in der Hand vor die Motorräder oder halten ganze Platten davon aus ihren Fahrzeugen, wenn sie von uns überholt werden. Bei jeder Rast nähert sich wie aus dem Nichts ein höherwertiges Fahrzeug und wir werden von den gut gekleideten Insassen zu Essen und Getränken eingeladen, um über gute, große Geschäfte zu reden. Am besten solle man mit 10 Kilogramm beginnen, um Vertrauen zu gewinnen. Danach sei jede Menge denkbar.
Nach einem schönen Streckenabschnitt durch alpine Kiefernwälder wird das Ganze noch skurriler. Am Beginn eines Höhenkammes liegt die Stadt Issaguen. Urplötzlich endet der Asphalt und die Straße schlängelt sich staubig und holprig durch den völlig verschmutzten Ort. Mit finsteren, manchmal aggressiven Blicken schaut man uns hinterher oder pöbelt uns im Vorbeifahren an. Zwischendurch immer wieder laute Angebote Haschisch zu kaufen. Wir merken schnell, Fremde sind hier nicht willkommen. Es scheint als wären wir im Verwaltungszentrum eines scheinbar rechts- und gesetzlosen Gebietes angekommen. Schäbige Häuser und heruntergekommene Cafés prägen das Straßenbild und auch das Gebäude der Polizei am Ortsrand macht keinen besseren Eindruck. Später haben wir erfahren, dass das Gebiet um Issaguen Menschen Unterschlupf bietet, die sich in keinem anderen Teil Marokkos mehr blicken lassen können. Ärger ist bei einer Rast in der Stadt vorprogrammiert und auf Hilfe kann man von Nichts und Niemanden hoffen. Der ganze Spuk hat dann nach Bab Berret, einem ebenso wenig einladenden Ort ein Ende. Hier werden auf dem Markt fässerweise chemische Düngemittel für die allseits so hochgepriesene rein natürliche Droge umgeschlagen. Für Leute mit dem nötigen Humor und Nerven, kann diese Strecke durchaus interessant sein. Denjenigen, die dies jedoch nicht spontan abrufen können, sei abgeraten die Strecke Bab Berret - Issaguen - Taounate zu befahren.

Für uns schließt sich am Abend in Chefchaouen der Kreis. Hier begann vor vier Wochen unsere Reise, nach zwei weiteren Fahrtagen wird sie enden.

Noch einmal schlendern wir durch die Gassen mit ihren blau getünchten Häusern und lassen am Abend die bisher in Marokko zurückgelegten 5800 Kilometer Revue passieren.