Indien

 

Wir sind in Indien angekommen. Prof. Massoud und sein "Team" mussten dann doch noch zwei weitere Abende Arbeit investieren, um unsere KTM für die restlichen 2500 - 3000 km bis Nepal herzurichten. Bei dem Probelauf am Freitag bemerkten wir, dass auch noch der Öldrucksensor seinen Geist aufgegeben hatte und auch hier Öl nach Aussen gedrückt wurde. Da verständlicherweise kein original KTM Öldrucksensor in Pakistan aufzutreiben war, baute Prof. Massoud kurzerhand den Sensor aus einem uralten, verstaubten und mit Spinnweben überzogenen BMW R 80 Motor aus und liess das Gewinde passend abdrehen.

Am Dienstag, den 11.10.05 war es dann endlich so weit, die erste Probefahrt mit einem orientalischen Kolben- und Ölring sowie einem antiquierten Öldrucksensor stand an. Massoud persönlich führte sie durch und war begeistert, nicht so sehr von seiner neuntägigen Arbeit, vielmehr von unserem Motorrad. Letztendlich waren wir es auch. Wir waren froh mit einem so modernen Motorrad auf diese grosse Reise gegangen zu sein, welches dennoch, mit einfachsten Mitteln, auch bei einem grösseren Schaden, weit ab unserer üblichen Vorstellung von Zivilisation, wieder zum Leben erweckt werden kann.

Nach dem schweren Erdbeben, welches zu vielen Toten und fürchterlichen Verwüstungen im Norden Pakistans führte, war es ein trauriger Abschied. Wir selbst hatten das Beben noch in Lahore heftig gespürt und das 300 km südlich von seinem Epizentrum. Wir denken oft an die Menschen in den zerstörten Gebieten, bei denen wir noch eine Woche zuvor Gast sein durften und an die Reisenden, die wir zuvor kennengelernt hatten und die zum Zeitpunkt des Bebens auf dem Karakorum Highway waren.

Nach 3950 km in Pakistan verliesen wir den islamisischen Kulturkreis auf unserer Reise am 11.10.05 in Richtung Osten.

Indien zeigt sich uns viel farbenprächtiger, als es in Pakistan der Fall war. Im Bundesstaat Punjab beherrschen die Sikhs mit ihren langen Bärten und den kunstvoll bewickelten Turbanen in allen erdenklichen Farben das Strassenbild. Im Guesthouse in Amritsar, gleich nach der Grenze, treffen wir Dankmar aus Erding mit seiner BMW GS 100 HPN. Der 66 jährige Bayer fuhr zusammen mit einem Freund vor 42 Jahren mit einen BMW R 50 Gespann von Deutschland über Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien nach Nepal und ist nun auf den Spuren seiner eigenen Geschichte unterwegs. Da Dankmar fuer seine Reise 3 bis 30 Monate eingeplant hat, schliesst er sich uns an, um mit uns zusammen durch Rajasthan bis nach Nepal zu fahren. Von Amritsar starten wir zu unserer letzten wirklich grossen Tagesetappe von über 500 km nach Bikaner am Nordrand der Wueste Thar.

Alter Mann

Wir durchfahren zunächst die weiten fruchtbaren Ebenen von Punjab, der Kornkammer Indiens, mit endlosen Baumwoll- und Getreidefeldern. Etwa 250 km vor unserem Tagesziel wird die Vegetation karger und der Boden immer sandiger. Nun sind wir an dem zweiten grossen Ziel unseren Reise angekommen, dem Bundesstaat Rajasthan, dem Wüstenstaat, der noch immer von der einstigen prunkvollen Mogulherrschaft geprägt ist. Hatten wir doch in den Wüstenregion von Iran und Pakistan viele wildlebende Kamelherden gesehen, so sind hier in den Städten diese Tiere auch als Last- und Arbeitsmittel teil des Strassenbildes. Man kann sich dem Stolz und der Erhabenheit dieser Tiere selbst beim Ziehen eines einfacher Karrens kaum entziehen. Am frühen Abend erreichen wir Bikaner mit der grossen mittelalterlichen Festungsanlage im Zentrum, die fast unwirklich wie eine riesige Filmkulisse aus der Altstadt herausragt. Auf dem Weg hierher durften wir noch einen dieser wunderschönen pastellfarbenen Sonnenuntergänge Indiens erleben, der diese einmalige Ruhe am Ende eines Tages ausstrahlt und die wenigen grünen Flecken hier in der Wüste vor der Dunkelheit noch intensiver erscheinen lässt. Am folgenden Tag besuchen wir die hinduistische Tempelanlage von Deshnoke. Die hier als heilig lebenden Ratten werden von Wächtern behütet und von Pilgern gefüttert und verehrt. Sie bewegen sich völlig frei und geschützt in der gesamten Anlage und in den düsteren Gängen. Es kostete uns schon einige Überwindung barfuss, wie in hinduistischen Tempel üblich, durch die Schar der Tiere und deren Schmutz zu laufen.

Wüste Thar

Am 14.10.05 fahren wir nach Süden immer tiefer in die Wüste Thar hinein und erreichen nach 327 km Jodhpur. Die Strassen in Indien sind in weitaus besseren Zustand als in Pakistan und lassen auf der Fahrt durch die Wüste Thar Geschwindigkeiten von über 100 km/h zu. Das mäsig breite Asphaltband ist stellenweise von breiten Dünengürteln eingefasst, manchmal bedecken kleinere Sandverwehungen die Fahrbahn, Antilopen und Kamel kreuzen unseren Weg, der vielfach mit Akazien gesäumt ist.

Am folgenden Tag lassen wir uns in der “blauen Stadt” Jodhpur durch Basare und enge Gassen treiben. Hier ducken sich die indigoblau gestrichenen Häuser der Altstadt unter der massigen Festungsanlage “Fort Meherangarh”. Seit dem wir in Rajastan sind, fühlen wir uns oft in die Märchen von 1001 Nacht zurückversetzt. Schon am Beginn unserer Stationen in Rajastan sind wir uns sicher, dieser Teil Indiens verzaubert. Die alten Mogulbauten im reich verzierten orientalischen Stil, die farbenpraechtigen Kleider der Frauen, die bunten Trubane der Männer und die allgegenwärtigen Kamele machen Rajasthan wirklich zu einem Highlight unserer Reise. Die nächste Etappe führt uns in die heilige Stadt Pushkar. Hier treffen sich seit langen Rucksacktouristen aus aller Welt und haben den Flair der Stadt ein wenig verdorben. Trotzdem blieb Pushkar ein fleisch- und alkoholfreier Ort. Abseits der Basarstrassen oder spät nachmittags am Ufer des Sees an Stufen für die religiöse Waschungen lässt sich der ursprüngliche Charme der Stadt noch erahnen. Pushkar wurde jedoch nicht nur durch seinen “heiligen” See berühmt, vielmehr durch den alljährlichen Kamelmarkt “Pushkar Mela”, zu dem sich hunderte Kamelhändler aus ganz Rajasthan einfinden.

Palast der Winde

Am 16.10.05 erreichen wir auf einer Fahrt durch eine Halbwüstenlandschaft “The Pink City” Jaipur. Das wohl bekannteste Bauwerk der Stadt ist der Palast der Winde “Hawal Mahal”. Thomas hat sich fest vorgenommen unsere KTM vor diesem wunderschönen Fassadengebäude zu fotografieren. Dies war jedoch einfacher gedacht als getan. Obwohl sich ein Platz direkt davor gefunden hat und zunächst wenig Menschen zu gegen sind, erleben wir ein nicht erreichtes Ausmass eines Menschenauflaufes, durch die Neugier an unserem Motorrad. Nahm das Interesse an der KTM von Iran nach Pakistan immer mehr zu, so verursachten wir in Indien bei einer Rast regelmässig Verkehrsstaus. So auch vor dem Palast der Winde. Das zunächst menschenleere Fotomotiv verwandelt sich innerhalb von einer Minute zu einem Gewirr aus Menschen, in dem die KTM nicht mehr zu sehen ist. Claudia und Dankmar haben grösste Mühe damit die Menschen lediglich für einen Schnappschuss beiseite zu drücken. Als dann auch noch der Verkehr völlig zum erliegen kommt, wird auch die Polizei aufmerksam und treibt die Menge mit Bambusstöcken auseinander. Über Alwar führt uns der Weg dann nach Agra. Da wir im gesamten Verlauf unserer Reise nur wenigen Touristen begegnet waren, wirken die Ausflugsbusse hier in Rajastan fast schon befremdlich auf uns. Aus diesem Grund entschliessen wir uns eine Nebenstrecke zur Stadt des Taj Mahal zu fahren. In Alwar besuchen wir den Stadtpalst, der von der kommunalen Verwaltung genutzt wird. Hier vermischt sich die wunderschöne Architektur der Maharadschas mit Büros einer morbiden britischen Bürokratie in indischer Hand. Hatten wir bisher nur gute Erfahrung mit den indischen Strassen gemacht, so müssen wir nun feststellen, dass es auch anders gehen kann. Hier im Hinterland abseits der Hauptroute gilt es nicht nur den Kindern, Kühen, Hunden, Kamelen und Schweinen am Strassenrand erhöht Aufmerksamkeit zu schenken, sondern auch den unzähligen Schlaglöchern der maroden Strassen. Die Durchfahrten der Ortschaften sind absolut unbefestigt, vom Monsun ausgewaschen und erfordern einige tiefere Wasserdurchfahrten sowie das Um- und Überfahren grosser Steine. So wird abermals das Fahrwerk unserer KTM auf eine harte Probe gestellt. Wie aus alten Reiseberichten begegnen uns Frauen in farbenprächtigen Kleidern, die anmutig grosse Messingvasen gefüllt mit Wasser vom Brunnen nach Hause tragen. Durch den chaotisch Verkehr von Agra quälen wir uns dann bei Einbruch der Dunkelheit zu unserem Hotel.

Taj Mahal

Hier in der Stadt des wohl bekanntesten Bauswerks unserer Erde verbringen wir den nächsten Tag. Schon früh am Morgen durchstreifen wir die weitläufige Anlage des Taj Mahal und Thomas verfällt, begeistert von der Symmetrie dieses Gebäudes, dem Fotorausch. Anschliessend besuchen wir das Fort, in dem der Bauherr des Taj Mahal von seinem eigenen Sohn über Jahre bis zu seinem Tod gefangen gehalten wurde, da die Baukosten des Mausoleums für seine verstorbene Frau das Land an den Rand des finanziellen Ruins getrieben hatten und der alte Herr auch noch geplant hatte für sich ein weiteres Grabmal in schwarzem Marmor mit gleichem Ausmass zu bauen. Der Abend klingt dann am Ufer des Yamuna mit Taj Mahal und Sonnenuntergang aus. Was dann noch geschieht wird die Kritiker des White Power -Fahrwerks der KTM zum Schmunzeln bringen und versetzt uns zunächst in eine Schockzustarre. Aus dem rechten Gabelrohr fliesst Öl und wir denken schon an eine gebrochene Dichtung. Ist es uns wirklich nicht gegönnt Nepal zu erreichen? Doch es ist alles halb so schlimm, ein Sandkorn hat sich in die Dichtung gemogelt. Nach einer zehnminütigen kleinen Reparatur ist alles wieder bestens.

Der nächste Tag führt uns auf direktem Weg Richtung Nordosten zum indischen Grenzübergang Banbasa. Auch hier bemerken wir, dass wir nicht auf dem sonst üblich genutzten Weg von Dehli zur Grenze befinden, da auch hier viele Ortsdurchfahrten aus Schotterpisten bestehen und viele Menschen wohl noch nie ein Motorrad wie unsere KTM gesehen haben. Gegen 12 Uhr überqueren wir auf einer Brücke mit Einbahnverkehr, die sowohl von Fahrzeugen als auch der Eisenbahn genutzt wird, den Ganges. Die Landschaft und Vegetation lässt uns mehr und mehr an das uns bekannte nepalesische Tiefland denken. Lange Bodhibaumalleen sorgen in der Mittagshitze für angenehmen Schatten. Am Nachmittag lässt der Verkehr deutlich nach, es sind fast nur noch Rikschas, Fahrräder und Tierkarren mit uns unterwegs. Als dann der Asphalt in eine Schotterpiste übergeht wissen wir, dass die indisch/nepalesische Grenze nicht mehr weit sein kann, da diese kaum für den Güterverkehr genutzt wird. In einem kleinen Wäldchen, in dem sich ärmliche Hütten fast zu verstecken scheinen, stehen wir plötzlich vor einem verrosteten Schlagbaum.

Grenze nach Nepal

Der Grenzübergang, an dem die Zeit stehen geblieben scheint, ist erreicht. Die Grenzformalitäten werden für indische Verhältnisse unbürokratisch erledigt, der Weg nach Nepal ist für uns frei.