Thailand 2
Der Zöllner auf der thailändischen Seite meint es gut mit uns, zwar akzeptiert er unser Carnet nicht, dennoch bekommen wir innerhalb einer Stunde alle notwendigen Papiere, um uns mit der KTM bis Monatsende hier aufzuhalten. Chiang Khong ist ein verschlafenes Städtchen am träge fliessenden Mekong. Wir finden eine tolle Lodge direkt über dem Fluss, in der in dem urwaldähnlichen Garten stilvolle kleine Bambushütten stehen. Bis spät in die Nacht sitzen wir auf unserer kleinen Veranda und hängen mit Blicken auf den silbrig schimmernden Mekong unseren Gedanken an Laos auf der anderen Flussseite nach.
03.01.2001. Ein wenig enttäuscht stehen wir am geografischen Goldenen Dreieck, der Mündung des Mae Sai Flusses in den Mekong, dem Dreiländereck von Burma, Laos und Thailand. Hier hatten wir uns einen verwunschenen Ort vorgestellt, doch die Tourismusindustrie hat diesen Mythos zerstört und wir wünschen uns zu den opiumpaffenden Omas in die Berge von Laos zurück. Über steile Berge immer direkt an der durch Militär streng kontrollierten Grenze zu Burma geht es durch Teeplantagen vom äussersten Norden Thailands nach Thatong.
150 Kilometer südlich beginnt die berühmteste Strasse Thailands, wenn nicht sogar Südostasiens. In drei Etappen a 80, 113 und 173 Kilometern durchfahren wir 3934 Kurven, so die offiziellen Angaben der Behörden. Das sind schlau gerechnet 10,7486339 Kurven pro Kilometer, also alle hundert Meter 1,07486339 Kurven in allen nur erdenklichen Radien, Steigungs- und Gefällwinkeln und manchmal wüsten Kombinationen aus Allem. Das Alles auf perfektem, sauberem Asphalt durch eine wilde grösstenteils unberührte Urwaldlandschaft mit herrlich weiten Ausblicken von den Bergpässen. Der wenige Verkehr verleitet hier zum zügigen Fahren. Eigentlich müsste man die Stecke zweimal fahren, sportlich mit konzentriertem Blick auf den nächsten Turn und dann gemütlich für die traumhafte Landschaft. So unterschiedlich wie die Kurven sind auch die Übernachtungsorte. Das im niedrigen Takt pulsierende Städtchen Pai, einst Künstlerenklave in einem Bauernort, entwickelt sich nach einer dort gedrehten thailändischen TV-Soap zum einem Mussmanbesuchthabenort für Thailänder.
Oder Mae Hong Son, die ruhige Provinzhauptstadt, eingerahmt von grünen buckeligen Bergen mit schönen alten, im burmesischen Stil erbauten Klosteranlagen. Hier in der Nähe gibt es versteckt in den Bergen drei Dörfer des ursprünglich aus Burma stammenden Padaung Volksstammes, deren weibliche Bewohnerinnen auch als “Langhalsfrauen” bekannt sind. Schon als Kleinkinder bekommen die Mädchen Metallringe um den Hals gelegt, im Laufe des Lebens kommen immer mehr hinzu und so wird der Hals optisch verlängert. Eigentlich wird nur das Knochengerüst unter dem Hals durch die 5 – 8 Kilogramm schwere Last der Ringe nach unten gedrückt.
Für Claudia als Physiotherapeutin ein Horrortrip durch die skelettare und muskuläre Anatomie, für mich die Bestätigung, dass Claudia mit kurzem und muskulär gehaltenen Hals wirklich toll aussieht. Und dann Mea Sariang, das verschlafene Städtchen irgendwo im Nirgendwo mit dem angrenzenden Salawin Nationalpark, der sich bis zur burmesischen Grenze erstreckt. Noch spät am Nachmittag fahren wir hier auf einer festen erdigen, manchmal feucht schmierigen Piste in den dichten Dschungel hinein. Alles um uns herum ist mit Grün in allen nur erdenklichen Schattierungen überwuchert. Alles scheint undurchdringlich, undurchschaubar und menschenleer. Wir stellen uns vor hier übernachten zu müssen, schauen uns nur wortlos an und verlassen unseren Aussichtspunkt hoch oben mit weitem Blick nach Burma hinein im Licht der untergehenden Sonne.
07.01. Heute steht eine Etappe in den ehemaligen wilden Westen Thailands auf dem Programm. Die Strasse führt teils durch enge dunkelgrüne Täler direkt an der burmesischen Grenze entlang. Die beiden Länder trennt nur ein schmaler smaragdgrüner Fluss. In Burma steigen extreme steile dicht bewaldete Felswände nach oben, die in spitzen Kuppen oder sanft geschwungenen Graten enden. Undurchdringlich, so scheint es für uns, so ist es aber nicht. Noch vor wenigen Jahren war die Strecke nur unter erheblichen Risiken befahrbar. Karen Rebellen, die gegen die burmesische Militärjunta kämpfen, zogen sich auf die thailändische Seite zurück, es kam hier immer wieder zu Überfällen auf Reisende. Das Einzige was geblieben ist, sind Grenzscharmützel zwischen burmesischen Regierungssoldaten und Karen Kämpfern auf der thailändischen Seite. Hier ist auch die Hochburg von Schmugglerbanden, die Edelsteine und Drogen aus den im Dschungel versteckten Laboren nach Thailand schaffen. Klar, dass man hierbei lieber unter seinesgleichen ist. Plötzlich taucht Mae La, das grösste burmesische Flüchtlingslager, vor uns im Dschungel auf. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Idyll. Aber die armseligen Hütten bestehen nur aus Bambuswänden, die mit einem Dach aus Blättern bedeckt sind. Es ist kaum vorstellbar, wie es hier in der Regenzeit aussehen mag. Eng aneinander gequetscht reichen sie auf einer Länge von etwa zwei Kilometern tief in den Dschungel bis direkt an die Grenze heran. Hier ”leben” über 50.000 Menschen. Das ganze Gelände ist von Soldaten schwer bewacht und mit Stacheldrahtzaun umgeben.
Bei einem Stop steht plötzlich ein kleiner barfüssiger Junge neben unserem Motorrad, der sich wohl durch den Zaun auf die Strasse gemogelt haben muss. Ich gebe dem etwa Fünfjährigen ein Bonbon und er lacht mich überglücklich mit grossen Augen an. Als dies ein burmesischer Aufseher bemerkt, der auf der Strasse mit einem Bambusstock patrouliert, stürzt er auf den Jungen zu. Hilflos, mit Wut im Bauch, müssen wir zusehen, wie der Junge vergeblich versucht den heftigen Stockhieben zu entgehen und zurück ins Lager getrieben wird. Die gesamte Lage um die hiesige Provinzstadt Mae Sot ist so angespannt, dass es immer wieder zu Granateinschlägen in der Stadt von burmesischer Seite kommt, die Karen Rebellen hier unter Beschuss nehmen. Mae Sot ist dennoch ein angenehmes Städtchen und wir dürfen in einem Restaurant die burmesische Küche geniessen. Nach 180 Kilometern liegt Sukhothai, die einstige alte Hauptstadt des Siamreiches, vor uns. Hier stehen noch Tempel und Gebäude aus dem 13. Jahrhundert. Einen ganzen Nachmittag fahren wir mit der KTM durch die riesige Anlage und bewundern die vielen überdimensionalen Buddhafiguren.
Kanchanaburi, hier spielte sich ein grosses Drama des zweiten Weltkrieges ab, das durch den Film ”Die Brücke am Kwai” berühmt geworden ist und dadurch grosses touristisches Interesse hervorruft. Während der Besatzung Thailands durch die Japaner, planten diese eine Eisenbahnstrecke nach Burma. Für den Bau wurden zehntausend britische, amerikanische, australische und niederländische Kriegsgefangene, sowie thailändische, indische und burmesische Kulis eingesetzt. Im dichten Dschungel starben bei der Arbeit mehr als Einhunderttausend an Malaria, Erschöpfung, Cholera und Unterernährung. Die einstige berühmte Brücke über den Fluss Kwai wurde 1945 von amerikanischen Bombern zerstört und ist jetzt ein Nachbau des Originals.
Kurs Süd. Wir haben beschlossen in den nächsten zwei Tagen, drei von uns geplante Etappen zu fahren, um uns auf Phuket - der Ferieninsel Thailands - einen Tag mehr Urlaub zu gönnen. Eigentlich eine gute Entscheidung, denn viele landschaftliche Highlights gibt der schmale stellenweise nur 20 Kilometer breite Korridor zwischen Burma und dem Golf von Thailand, dem Nadelöhr des Landes, nicht her. Doch was man hier finden kann, wenn man es sucht, sind absolut menschenleere Strände mit kleinen Hütten oder Bungalows direkt am Meer. Ein Paradies für Menschen, die schon immer mal ein Buch schreiben oder mal richtig mit sich selbst alleine sein wollen. So sitzen auch wir, als einzige Gäste im kleinen Restaurant und hängen später am nur 10 Meter entfernten Strand im Licht des Mondes unseren Gedanken nach - herrlich mal so weit weg von Allem zu sein. Kurz vor Ranong, einer Hafenstadt an der burmesischen Grenze, wird die Strasse wieder kurviger und scheint sich wie eine riesige Schlange durch den hier üppigen Urwald zu winden. Die Luftfeuchtigkeit ist enorm gestiegen und die Blätter der tropischen Büsche und Bäume erscheinen uns viel fetter und grüner als bisher. Bei jeder Rast, ohne den kühlenden Fahrtwind, stehen wir binnen Sekunden im eigenen Saft. Am späten Nachmittag erreichen wir die Insel Phuket. Der Eine mag die Nase rümpfen, klar man muss diese Art von Urlaub mögen, wir tun es eigentlich nicht, denn hier gibt es im Prinzip nur zwei Dinge. Tagsüber braten in der Sonne und leichte Mädchen für Alleinreisende im Schein der abendlichen Neonreklameschilder. Geht man jedoch der übermächtigen Tourismusindustrie und dem schlüpfrigen Nachtleben aus dem Weg, so kann man auch noch hier einsame Buchten in fast unberührter Natur weit abseits von dem "Ballermann" Thailands finden.
Wir möchten jedoch auch die andere Seite des Lebens auf Phuket erfahren und begeben uns in Patong in der Bangla Road abends in die Höhle des Löwen. Hier reiht sich eine Animierbar an die nächste, es wird mit allem geworben, was die weibliche Anatomie hergibt. Dazwischen tummeln sich bei hämmernder Musik Gathoeys, Transsexuelle, die nicht von Frauen zu unterscheiden sind, und Touristen, die ihr zweijähriges Kleinkind mit dem Kinderwagen durch diese skurrile Welt schieben. In einer Bar kommen wir mit Priya ins Gespräch. Sie ist 25 Jahre alt und stammt wie fast alle Mädchen hier aus dem armen Norden des Landes. Zuhause hat sie ihren fünfjährigen Sohn bei ihren Eltern zurückgelassen, um hier Geld zu verdienen. Von dessen Vater keine Spur mehr, versucht sie in der Bar männliche Touristen zum Alkoholkonsum zu animieren, manchmal auch zu mehr. Auf dem Weg um die Pang Nga Bucht fahren wir durch steil aufragende massige Felsbuckel, die von dichtem Wald begrünt sind in den äussersten Süden Thailands. Trang ist unser letzter Übernachtungsort. Viel weiter südlich möchten wir nicht die Nacht verbringen. Dort kommt es täglich zu Bombenanschlägen der hier mehrheitlich muslimischen Bevölkerung gegen thailändische Polizei- und Militärangehörige, um ihren Drang in Malaysia integriert zu werden Nachdruck zu verleihen. Die Fahrt zur malaiischen Grenze verläuft dennoch völlig unspektakulär, deutlich erkennbar ist jedoch die Zunahme der muslimischen Bevölkerung und eine auffallend hohe Militärpräsenz.
4048 Kilometer durch Thailand liegen hinter uns und wir konnten das Land in fast all seinen Landschaften und die Menschen mit doch sehr unterschiedlichen Mentalitäten kennenlernen. Beim Blick hinter die Kulissen sieht man auch, dass das Land mit vielschichtigen Problemen zu kämpfen hat und die Regierung nicht gerade uneigennützigen vorgeht. Dies bleibt dem Urlauber an den weissen Stränden oft verborgen.