China
Noch auf kirgisischer Seite schlängeln wir uns durch eine Kilometer lange Reihe überwiegend chinesischer LKW bis an das Grenztor. Die armen Hunde haben hier wartend die Nacht in eisiger Kälte verbracht. Als schon nach 20 Minuten der Weg für uns nach China frei ist, gehen wir davon aus, dass unser "Aufpasser" und Begleiter auf der anderen Seite des Passes am chinesischen Checkpoint auf uns wartet. Wir sind überglücklich, dass nach allen Hürden das riesige China vor uns liegt. Sieben Kilometer weiter werden wir von einem kleinen chinesischen Soldaten in einem überdimensionalen dicken gesteppten Tarnanzug gestoppt. Erstes Problem in China: die Konversation. Deutsch Fehlanzeige, Englisch kann er nicht, Russisch hat er noch nie gehört, Spanisch und Französisch versuchen wir erst gar nicht, unser Problem: wir können kein Chinesisch. Thomas gestikuliert Richtung Süden (Kashgar) fahren zu wollen. Wir verstehen jedoch sofort, dass er uns zurück nach Kirgistan schicken möchte, weil weit und breit niemand so aussieht als könnte er unser Begleiter sein. Nur Militär so weit das Auge reicht. Wir bleiben jedoch beharrlich stehen und eher wir uns versehen, sind wir unsere Pässe los. Ein Offizier gibt uns dann doch noch mit wenigen Worten Englisch zu verstehe, dass wir warten müssen. Über eine Stunde im Staub der Strasse vergeht und wir beginnen nun ernsthaft an der Zuverlässigkeit unseres chinesischen Reiseagenten zu zweifeln. Endlich taucht unser Begleiter Tahar an der Grenze auf. Er ist mit einem Bus hierher gekommen. Nach einer weiteren Stunde des Wartens können wir endlich losfahren. Tahar sitzt wieder in einem Bus, dem wir folgen sollen. Unglücklicher Weise ist nun auch die lange LKW-Schlange von der anderen Seite bis hierher vorgerückt und wird im Block abgefertigt. Als die wilde Jagd Richtung Kashgar losgeht, befinden wir uns mitten in der LKW-Kolonne, die mit über 70 km/h auf der brettharten, staubtrockenen Wellblechpiste ins Tal schiesst. Der ganze Verlauf des Weges ist schon von weit Oben durch die riesigen Staubfahnen zu erkennen. Die Sicht hinter dem vorausfahrenden Bus ist, wenn überhaupt, nur auf wenige Meter beschränkt. Hält Thomas einen grossen Abstand, um einmal durchatmen zu können, werden wir vom LKW hinter uns gedrängt schneller zu fahren. Nicht auszudenken, wenn wir hier auf der Piste stürzen. Schon nach 15 km wünschen wir uns an jedem anderen Ort dieser Welt zu sein. Erst nach 85 km ohne Stopp ist der Spuk vorbei und wir gleiten auf bestem Asphalt Kashgar entgegen. Hier erst, nach 110 km, ist der eigentliche Grenzübergang. Dank der Vorarbeit unserer Agentur ist die Einreise die Unkomplizierteste der bisherigen Reise. Lediglich das Gepäck wird stichprobenartig auf verbotene Literatur durchsucht. Wir bekommen weder den erforderlichen chinesischen Führerschein in die Hand, noch wird ein chinesisches Kennzeichen am Heck der KTM angebracht. Alles verbleibt bei unserem Begleiter. Am frühen Abend stehen wir endlich vor den Toren von Kashgar und machen es uns zunächst in unserem Hotel gemütlich.
Am nächsten Tag begeben wir und auf die Suche nach dem alten Kashgar, dem über 2000 Jahre alten, einstigen Mittelpunkt der Seidenstrasse, Karawanen, Händler, Forscher und Abenteurer. Wir finden es in den verwinkelten Gassen der Altstadt hinter topmodernen chinesischen Geschäftshäusern. Frisch gebackenes Brot aus Lehmöfen, Ost, Gemüse und Gewürze werden lautstark angeboten. Hufeisen- und Kunstschmiede schuften hier am offenen Feuer. Langbärtige alte Uyghuren, Tadschiken und Kirgisen dösen auf grosszügigen Liegen im Schatten halbüberdachter Teestuben. Undurchsichtige Naturheiler bieten getrocknete Echsen, Kröten, Schlangen und viel Undefinierbares als Wundermittel an.
Das schräg stehende Sonnenlicht taucht, vermischt mit dem Rauch der Schaschlikstände, Bäckeröfen und Schmiedefeuer alles in ein fast mystisches Licht. Uns umgibt ein Geruch aus Holzkohlefeuer, Tee, fremdartigen Gewürzen, mehr oder weniger frisch geschlachtetem Fleisch und warmen Fladenbrot. Indiana Jones is back.
Am Abend erleben wir noch eine Überraschung. Tahar teilt uns mit, dass wir uns auf dem Weg zur pakistanischen Grenze frei bewegen können. Ein Kollege von ihm wird uns am 14. September in Tashkurgan lediglich durch den chinesischen Zoll und die Passkontrolle lotsen. Das hatten wir nicht erwartet. Die bisherigen Bestimmungen haben Selbstfahrer mehr oder weniger an einen staatlich bestimmten Begleiter gebunden. Auf den folgenden 500 km des chinesischen Karakorum Highway sind wir nun frei und ungebunden, wir können tun und lassen was wir wollen.
Am 12. September fahren wir nur etwa 200 km bis zum Karakul See auf etwa 3600 m. Immer höher führt die ausgezeichnete Fahrbahn in eine Landschaft aus Eis und Schnee, Sanddünen und kahlen braunen Felsketten. Urplötzlich auf einer riesigen Hochgebirgsebene liegt der See dann vor uns. Zum Greifen nahe ragt dahinter der wunderschöne 7549 m hohe Mustang Ata in den Himmel, flankiert von dem über 7700 m hohen Kongur Shan, mit ihren blendend weissen Gletscher, die im See einzutauchen scheinen. Hier machen wir uns es direkt am Ufer des Sees bei einer Nomadenfamilie in einer Jurte gemütlich. Hier oben ist die Heimat der Dromedare und Yaks, die der eisigen Kälte und sengenden Hitze trotzend, den Nomaden als Nutztiere dienen. Bis lange nach Sonnenuntergang verfolgen wir das Spiel der Farben an der gewaltigen Westwand des Mustang Ata.
Heute am 13. September erreichen wir nach etwa 100 km Fahrt durch eine gewaltige Gebirgslandschaft, einen über 4000 m hohen Pass überquerend, den Grenzort Tashkurgand und warten auf unseren Helfer. Nur noch 130 km trennen uns von der pakistanischen Grenze.
Am 14. September ist Akbar unser Grenzhelfer zur Stelle. Zügig werden die Pass- und Zollformalitäten erledigt, so scheint es jedenfalls. Als wir bereits mit laufendem Motor auf das Okay zur Weiterfahrt warten, stoppt uns jedoch die träge und gewissenhafte Mühle der chinesischen Bürokratie. Ein findiger Zollbeamter hat etwas entdeckt, was nicht sein kann. Auf einem Formular mit chinesischen Schriftzeichen, auf dem wir nur viele Häuschen, Tannenbäume und Tische erkennen können, fehlt ein Einreisestempel für das Motorrad. Da es formell nicht eingeführt wurde, kann es seiner Meinung nach auch nicht ausgeführt werden, obwohl es gross und breit vor ihm steht. Zwei lange Stunden mit endlosen Diskussionen über Sein und nicht Sein eines Motorrades vergehen, bis Akbar den Bürokraten davon überzeugt hat, dass man eine KTM LC 8 nicht in China kaufen kann und wir sie demnach über den Torugart Pass mit hierher gebracht haben müssen. Wir dürfen weiterfahren.
Auf den letzten 130 km steigt der chinesische Karakorum Highway über 1300 m bis zur eigentlichen Grenze, dem Khunjerab Pass auf über 4700 m an. Die letzten 300 bis 400 Höhenmeter windet sich die Strasse in weiten Kehren auf die flache Passhöhe, die Berge um uns herum werden immer bizzarer, mit spitzen Türmen und fast lotrechten Eisfeldern. Den Einspritzer unserer KTM lässt die grosse Höhe erstaunlich kalt und wir können kaum Leistungseinbussen, trotz der doch extrem dünnen Luft, feststellen. Bei strahlend blauem Himmel und angenehmen Temperaturen erreichen wir die Grenze.
CHINA - gut zu wissen:
-China = eine Zeitzone, deshalb wird es hier im äussersten Westen erst um 09.00 Uhr hell und um 22.00 Uhr dunkel, macht aber nichts, denn die Menschen hier haben inoffizielle Uhren, die zwei Stunden nachgehen.
- Chinesischen Touristen sind mehr als neugierig, Privatsphäre ist ein Fremdwort
- Spucknäpfe in Restaurants haben ihre Daseinsberechtigung.
- Ohne Kenntnisse der Sprache in Wort und Schrift ist ein Abenteuer vorprogrammiert, es fängt beim Essen an und hört bei der Wegsuche noch lange nicht auf
- Russisch und die kyrillische Schrift sind einfach
- Chinesisches Bier wird definitiv NICHT nach dem Reinheitsgebot gebraut.
- Lachen Sie erst, wenn sie den Torugart Pass auch auf der chinesischen Seite hinter sich haben. Wir haben zu früh gelacht.