Pakistan
Auf der pakistanischen Seite des Khunjerab sind wir an dem Punkt angekommen, an dem wir zwei Jahre zuvor neugierig die Hälse Richtung China reckten.
Auf dem Weg ins Tal grasen Hunderte von Steinböcken und Yaks an den herbstlich braunen Wiesen direkt am Fahrbahnrand. Wir sind froh wieder hier zu sein. Nach den heftigen Regenfällen der vergangenen Wochen wirkt die Landschaft unter dem strahlenblauen Himmel wie frisch gewaschen, der Hunza ist zu einem reissenden Fluss geworden und die Zuflüsse haben viele Strassenabschnitte weggespült. Schon auf den ersten Kilometern haben wir einige Bachläufe zu durchqueren. Wie eine riesige grüne Schlange reihen sich die Oasenhaften Dörfer am Flusslauf entlang. Aus dem Talgrund ragen lotrechte von spitzen Zinnen gekrönte Berge und steinig graue und braune Bergkämme empor.
Die uns in China oftmals entgegengebrachte teilnahmslose Distanz schlägt hier in der Region Hunza völlig um. Überall lachen und winken uns die Menschen hinterher. Ihre Minen spiegeln eine grosse Gastfreundschaft und Herzlichkeit wieder. Ein für europäische Augen finster erscheinender Blick aus tiefschwarzen Männeraugen, das Kinn von einem langen vollem spitzen Bart überdeckt entpuppt sich meist zu einem fröhlichen und offenen Gesicht mit vielen Fragen über unsere Reise. Da wir in Karimabad erfahren, dass es im Swat-Valley, einem unserer Ziele auf dem Weg nach Islamabad, zu innenpolitischen Auseinandersetzungen mit Toten gekommen ist, beschliessen wir noch einen Tag hier im Hunza Baltit Inn Hotel auszuruhen. Es ist schon vor zwei Jahren zu einem unserer Lieblingshotels geworden und das zuvorkommende Personal lässt uns nicht spüren, dass der Ramadan bereits begonnen hat.
Einen Abstecher vom Karakorum Highway gönnen wir uns jedoch, die 170 km lange Strecke nach Osten, in die kleine Provinzstadt Skardu, der Ausgangspunkt für fast alle 8000er Expeditionen in Pakistan. “ It is a very nice raod, but very very dangerous” ist der Kommentar eines Polizisten über den Streckenverlauf und er sollte recht behalten. Noch nie sind wir etwas vergleichbar Spektakuläres gefahren.
Die Strasse führt über die gesamte Länge dem Verlauf des Indus entlang, der sich unbändig und wild schäumend durch ein enges und steiles Felstal gefressen hat. Völlig ungesichert ist die nur knapp 4m breite Fahrbahn oft über 100 m hoch in den blanken und senkrechten Fels geschlagen. So sind an vielen Stellen düstere Halbröhren und felsige Galerien entstanden. Hier reiht sich eine Kurve an die andere. Ein Ausweichen vor entgegenkommenden bunt verzierten LKW ist nur an einigen wenigen Stellen möglich. Hier endet die Fahrbahn an den blanken Felsmauern, dort vor dem gähnenden Abgrund. An den nur wenigen breiteren Stellen der Schlucht haben sich die Menschen in einer Hand voll Dörfer niedergelassen. Eine Reifenpanne wirft uns im Zeitplan zurück und so geschieht unweigerlich das was wir um jeden Preis verhindern wollten, wir fahren in diesem Gelände, die Fahrbahn an einigen Stellen mit feinem tiefem Sand bedeckt, in die Dunkelheit hinein. Nach anstrengender und hochkonzentrierter Fahrt durch die stockfinstere Nacht erreichen wir ausgelaugt Skardu.
Am 17. September fahren wir auf gleichem Weg zurück zum Karakorum Highway. Nun bei Tageslicht schauen wir oft in den tiefen Schlund des wilden Indus steil hinab und schwören uns danach hier nie wieder in der Dunkelheit zu fahren. Die Landschaft entlang des Karakorum Highway begeistert uns in gleichem Mass wie schon im Jahr 2005. In den von Vielen als unsicher bezeichneten Stammesgebieten Indus Kohisthans werden wir erneut freundlich und hilfsbereit aufgenommen. Trotz des Fastenmonats Ramadan bietet man uns hier als nicht Moslems kühles Wasser an und beklagt sich über die derzeit schwelenden Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten, einiger Stammesclans, der Armee und religiösen Fundamentalisten. Auch hier möchten die meisten nur eins: In Frieden leben.
Am 19. September brechen wir von Besham nach Islamabad auf. Wir sind total überrascht, dass unsere KTM morgens blitzblank geputzt vor dem Hotel steht. Thomas hatte am Vorabend einen Hotelangestellten zu einer kleinen Tour mitgenommen, der ihn erstaunt über die brachiale Leistung von hinten fast erdrückte. Wieder am Hotel hatte er das typische Grinsen eines KTM-Fans im Gesicht, aus Erleichterung oder Begeisterung, das haben wir nicht erfahren. Jedenfalls hat er sich auf eine dezente Art bei uns mit der nächtlichen Motorradwäsche bedankt.
Früh am Morgen des 20. September stehen wir am Flughafen und holen unseren Freund und zukünftigen Reisepartner Detlef ab. Wir sind alle ein wenig enttäuscht, denn sein Motorrad ist trotz Zusicherung der Gulf Air und unserem deutschen Cargounternehmen nicht mit auf der Maschine. Sie steht noch in Bahrain und sei erst morgen da. Auch diese Aussage trifft nicht zu und nach langen Verhandlungen und Ausreden, die eher orientalischen Märchen gleichen, steht die Holzkiste endlich am frühen Morgen des 23. September vor uns im Cargobereich des Flughafens. Noch zuversichtlich heute nach Lahore aufbrechen zu können, bekommen wir die volle Härte der pakistanischen Bürokratie, die Unwissenheit der Zöllner und die absolute Unfähigkeit des notwendigen Zollagenten zu spüren. Den Tag verbringen wir mit einer Odyssee durch Amtsstuben, fensterlose Büros und spinnwebendurchzogenen, alten, staubigen Lagerhallen. Alles was wir benötigen ist ein einziger Stempel und eine Unterschrift eines Zöllners in Detlef ‘s Carnet de Passages. Und das braucht Zeit. Um genau zu sein 8 Stunden, trotz Zollagenten, der damit geworben hat die Arbeit in weniger als 2 Stunden zu erledigen. Unsere Nerven liegen blank. Claudia wird als Wachpersonal für das mittlerweile fahrfertige Motorrad abgestellt. Thomas und Detlef versuchen sich in Zeitabständen wechselseitig vor aufkommender Aggressivität zu bewahren. Als wir den notwendigen Stempel endlich haben, eskaliert die Situation doch noch, als Detlef eine mehr als doppelt so hohe Rechnung wie vom Agenten angeboten präsentiert bekommt. Zwischen dem Agenten und Thomas kommt es zu einem Gerangel um eine Quittung des Zolls, die wir für das Verlassen des Geländes benötigen. Als sich die Wogen geglättet haben, die Zollagenten auf das übelste beschimpft wurden, einigen wir und auf eine geringeren Preis wie vereinbart. Letztendlich verabschieden wir uns mit männlichem Händeschütteln und Umarmungen, ein wohl typisch orientalisches Geschäft und Arbeitstag wurde für beide Parteien zufrieden stellend abgeschlossen. Da es schon zu dämmern beginnt verbringen wir noch eine Nacht in Islamabad.
Am 24. September brechen wir zusammen mit Detlef nach Lahore auf. Sein erster Fahrtag auf dem Subkontinent. Im Gepäck haben wir Bilder von uns und Professor Massoud, der zwei Jahre zuvor unseren Motorradschaden behoben hat (Siehe TransAsia 2005, Pakistan). Freudig auf ein Wiedersehen suchen wir sein Haus in der engen Altstadt von Lahore auf. Wir können nicht ahnen, dass unsere Bilder einen Platz in seinem Kondolenzbuch finden. Professor Massoud starb am 2. April 2007 an einer Infektion an seinem Bein, die ihm in nur zehn Tagen das Leben nahm. Schockiert, in tiefer Trauer, mit Tränen in den Augen sitzen wir in seinem Arbeitszimmer mit seiner Frau Rabea zusammen, direkt neben Massoud’s Werkstatt, in der noch all seine geliebten Motorräder stehen, die Werkbank voller Werkzeuge, so als wäre er nur für kurze Zeit aus dem Haus gegangen. Wir trauen um einen lieben Freund, der uns wie Familienmitglieder aufgenommen hatte, dem kein Problem, keine Mühe zu gross war um uns 2005 eine Weiterreise und die Ankunft in Kathmandu zu ermöglichen. Wie verbrachten hier über eine Woche im Kreis seiner Familie und hatten nie das Gefühl Fremde zu sein, so wurden wir auch heute aufgenommen. Ein grosser aussergewöhnlicher Mensch, ein Motorradverrückter, ein begnadeter Mechaniker, ein grosses Herz ist gegangen. Wir werden Massoud nie vergessen. Den Gedanken noch nachhängend streifen wir am Abend durch die Altstadt und den Bereich um die Badshahi Moschee. Hier war für uns schon immer ein Platz um Ruhe vor der harten und gnadenlosen Wirklichkeit um die Altstadt Lahore’s zu finden. Wieder einmal verlassen wir Pakistan nachdenklich und betroffen.
An der pakistanisch – indischen Grenze darf dann Detlef noch erfahren, dass die Zöllner hier auch zügig arbeiten können. Binnen eineinhalb Stunden ist die Ausreise aus Pakistan und die Einreise nach Indien vollzogen. Die grösste Demokratie der Welt wartet auf uns.
Pakistan Inside
- Man bleibt in Pakistan immer länger als geplant.
- Es gibt wohl kaum schönere und spektakulärere Gebirgsstrassen wie im Karakorum.
- In Pakistan gibt es Bier, woher wir es haben, bleibt unser Geheimnis
- Hier ist das Auszollen eines Fahrzeuges kein Spass, wirklich nicht.
- Die Polizei ist auch bei Geschwindigkeitsübertretungen gnädig, zum Abschied hört man nur: “You are very fast Sir.”
- Es gibt Freunde, die vergisst man nicht.