Bangladesch
Eines steht zweifelsfrei fest, Bangladesch ist nicht gerade ein Hotspot für Touristen, also gerade richtig für uns. Ebenso wie Kolkata ist das Land mit vielen Klischees behaftet. Unsere Informationen über das Land sind dürftig, doch immer wieder hört man folgende Schlagworte: Bangladesch ist flach und nass, sehr flach und sehr nass. Nirgendwo anders leben so viele Menschen pro Quadratkilometer. Das junge Land hat eine blutige Vergangenheit und ein fragiles politisches System. Die Monsunfluten überschwemmen alljährlich grosse Teile des Landes und bringen Not und Elend in das sowieso schon bitterarme Land. Viele Hotels sollen keine Ausländer aufnehmen und die Städte sollen vollgestopft sein mit allem, was ein Weiterkommen fast unmöglich macht. Das Land hat kaum Infrastruktur. Und zu guter Letzt der Hinweis eines Inders, ja es war ein Inder, der uns sagte, in Bangladesch mit einem Fahrzeug am Strassenverkehr teilzunehmen sei riskanter als ein Selbstmordversuch.
Bestückt mit einem neuen Hinterreifen, dessen Montage selbstverständlich in einer echten Fachwerkstatt durchgeführt wurde, sitzen wir in unserem Hotelzimmer in Kolkata und sind gespannt auf das, was uns morgen nur 100 km hinter der Grenze zu Bangladesch erwarten wird. Hinzu kommt die Ungewissheit, ob man uns trotz Carnet de Passages mit dem Motorrad einreisen lassen wird. Viele Informationen, die wir erhielten, waren widersprüchlich, da auch von einer speziellen Genehmigung für die Einreise mit einem eigenen Fahrzeug die Rede war.
Die letzten 40 km zur Grenze sind gesäumt mit uralten Alleen, durch die immer wieder die grünen Farbkleckse der Reisfelder hindurchleuchten. Die indischen Beamten arbeiten äusserst zügig und kaum 20 Minuten später öffnet sich das grosse Eisentor nach Bangladesch. Hier ist die Abfertigung noch schneller, der Zoll möchte unser Motorrad erst gar nicht sehen und stempelt fast im Eiltempo das Carnet ab. Wir haben es geschafft, wir sind im Land, das uns auf Grund der Geschichten die wir hörten, grössten Respekt abverlangt. Nun stellt sich aber das nächste Problem, wie wieder auf dem von uns gewünschten Weg herauskommen? An der Grenze sagte man uns, dass wir zur Ausreise den gleichen Grenzübergang benutzen müssen, da im Visa kein anderer vermerkt sei, obwohl bei der Botschaft von Bangladesch in Delhi hiervon nicht die Rede war. „Es sei egal, wo wir ausreisen würden“.
Behält der Grenzer Recht, lösen sich unsere weiteren Reisepläne in Luft auf. Um eine spezielle Genehmigung einzuholen, fehlt uns einfach die Zeit. Wir lassen es aber trotzdem darauf ankommen und versuchen im äussersten Osten des Landes mit viel Überredungskunst wieder nach Indien einzureisen.
Nachdem die ersten Kilometer in Bangladesch hinter uns liegen, warten wir förmlich auf den halsbrecherischen Verkehr, doch nichts geschieht. Im Gegentei,l es läuft hier viel geordneter ab wie in Indien. Man benutzt Blinker und schaut zurück bevor man ausschert, abbiegt oder überholt. Rückspiegel erlangen ihre Bedeutung zurück und viel weniger Tiere überqueren die Fahrbahn. Die Kühe hier sind jedoch sichtlich nervöser als in Indien, denn im muslimischen Bangladesch gönnt man sich schon mal ein Stück Rindfleisch. Die Menschen, denen wir begegnen, sind äusserst freundlich und zuvorkommend und mit ihrer zurückhaltenden Neugier einfach nett. Hier im ländlichen Gebiet zwischen der Grenze und der Hauptstadt Dhaka kann von Übervölkerung keine Rede sein. Eines jedoch ist wahr, das Land ist flach, sehr flach sogar. Bis an den Horizont steht der Reis schon hoch auf den feuchten Feldern. Die Fahrbahnverhältnisse auf den durchwegs hohen Dammstrassen sind nahezu perfekt.
Über abgelegene Nebenstrassen tasten wir uns an den breiten Fluss Padma heran und suchen eine geeignete Fähre, mit der sich die Fahrtstrecke in die Hauptstadt beträchtlich verkürzen wird. Immer wieder machen verheerende Fährunglücke auf den Flüssen des Landes Schlagzeilen. Was uns nicht wundert, als wir von dem rostigen Seelenverkäufer stehen, der uns über das Wasser bringen soll.
Wieder festen Boden unter den Rädern rollen wir der 12 Millionenstadt Dhaka entgegen. Unser erster Eindruck von dem liberalen muslimischen Land ist äusserst positiv. 50 km vor Dhaka wird der Verkehr dichter und wir bekommen eine Vorstellung davon, was Bangladeschs Strassenverkehr wirklich brandgefährlich macht. Es sind die grossen Überlandbusse, die wie Güterzüge über die Strassen donnern, sich gnadenlos ihren Weg suchen, wer nicht ausweicht hat verloren. Es scheint so, dass die Fahrer einen Frontalzusammenstoss mit Anderen, ihrer Stärke bewusst, billigend in Kauf nehmen.
Erstaunlich schnell finden wir den Weg in die Stadt zu unserem Hotel, nördlich von Old Dhaka. Das Personal ist in heller Aufregung, umlagert das Motorrad, wie vorher schon die Landbevölkerung, so etwas hat man hier noch nicht gesehen. Für eine halbe Stunde muss die Arbeit ruhen, so viel Zeit muss sein, um alle Fragen los zu werden. Geduldig nehmen wir uns Zeit und beantworten ernst und sachlich auch Fragen, ob die KTM mit Benzin oder Diesel läuft oder wozu man denn zwei Auspuffrohre benötigt.
Dhaka ist die Stadt der Rikschas, 600.000 tun täglich ihren Dienst als Transportmittel auf den breiten Strassen der Innenstadt und in den engen Gassen von Old Dhaka. Dorthin zieht es uns auch an das südliche Ende, zum Sadarghat, der langen Bootsanlegestelle am Fluss Buriganga. Dort ist die Hölle los, das Leben scheint zu kochen. Fährschiffe jeder Grösse und jeden Alters liegen hier fest, um Passagiere auf dem über 8000 km langen Netz von Wasserstrassen auch in die entlegensten Winkel des Landes zu bringen. Es ist ein hektisches Treiben, ein Stimmengewirr der Händler, die Lebensmittel anbieten, und vom Fährpersonal, das unentwegt die Fahrtroute und Endpunkte ihres Schiffes lauthals herausschreien. Am Flussufer entdecken wir jedoch auch das, was dem Land zu einem negativen Ruf verholfen hat. Am Rand des sandigen, teilweise mit Öl und Unrat verschmutzten Ufers stehen die Bretter- und Zeltverschläge der Ärmsten. Durch das Licht der Abendsonne ist das Wasser des Flusses fast schwarz gefärbt und die grauen düsteren Silhouetten der Häuser auf der anderen Flussseite tauchen die Szenerie in eine fast geisterhafte unwirkliche Stimmung. Hier erwecken wir auch ohne Motorrad überall Aufmerksamkeit, denn für viele werden wir die einzigen Ausländer sein, die sie für lange Zeit zu Gesicht bekommen. Hier sind wir sofort von Kinderscharen umringt, die mit uns ihre Spässe treiben.
Als wir am 15.03.09 gegen 09.00 Uhr nach Osten aufbrechen, hat bereits eine dichte Smogwolke die Sonne verdeckt, die mit fahlem gelbgrauen Licht versucht den Tag zu erhellen. Erst 45 km nach der Stadt bricht sie wieder vollständig durch die Glocke aus Abgasen hindurch. Wir sind wieder im Ländlichen angekommen. Unzählige kleine und riesig breite Flüsse überquerend rückt unser weiteres Reiseschicksal immer näher. Auf einer über viele Kilometer nur drei Meter breiten pistenähnlichen Strasse tasten wir uns an den Grenzübergang heran, der dann verschlafen in einem kleinen Wäldchen zum Vorschein kommt. Als uns ein Zöllner erzählt, dass hier seit Jahren kein Ausländer mit eigenem Fahrzeug die Grenze passiert hat, wissen wir, dass wir gewonnen haben. Fast unsicher wird das Motorrad abgefertigt und auch wir werden ohne weitere Fragen kurz darauf verabschiedet.
Bangladesch hat uns begeistert, bewegt und neugierig gemacht. Kein Land für die grossen Ferien, aber ein Reiseziel, das zum Entdecken gerade zu einlädt, mit einem sympathischen Menschenschlag, der den Ruf des Landes in keiner Weise verdient hat.