Südwest Indien
Mumbay liegt vor uns, über 20 Millionen Menschen beherbergt dieser riesige Ballungsraum. Selbst die Stadt Thane, die mit der Metropole zusammen gewachsen ist, zieht sich endlos lange dahin. Hier bekommen wir einen weiteren Einblick in eine Megacity Asiens. Freud und Leid, reich und arm, purer Luxus und kaum vorstellbares Elend liegen nicht nur eng beieinander, nein Alles vermischt sich wie in einem Fiebertraum.
Als wir an der Mautstelle des Expresshighways, eine wirklich richtige Autobahn nach Pune angehalten werden und man uns nicht durchlassen will, da hier Motorräder verboten sind, muss ich den Angestellten klarmachen, dass die LC8 wirklich nicht mit den indischen Verwandten vergleichbar ist. Als ich dann etwas von 990 ccm und 115 PS erzähle, tituliert man uns zu guter Letzt als Lügner. Nach einem kräftigen Zug am Gasgriff, grollt die KTM dann laut und dumpf, fast verängstig, mit weit aufgerissenen Augen wird dann doch die Schranke geöffnet, da man einsieht, dass hier keine 185 ccm Einzylinder mit 17 PS bei der Arbeit sind. So sind wir schon um 15.00 Uhr in Pune, zu früh, um auf Hotelsuche zu gehen. Ein kurzer Blick auf die Karte genügt und unser Ziel für die Nacht steht fest. Mahabaleshwar, eine alte Hillstation der British Raj. In der einstigen Sommerfrische mit viktorianischen Villen ist nur noch wenig vom alten Charme zu spüren. Die kleine Stadt in einer phantastischen Gebirgslandschaft hat sich in einen kunterbunten kitschigen Vergnügungsort der indischen Mittelklasse verwandelt. Kurve um Kurve, bergauf, bergab über 200 km fahren wir schon durch tropischen Urwald mit Palmenhainen, dichten Salbaumbestand und Bananenstauden auf fast leeren Strassen und ein Ende ist nicht abzusehen.
Ein herrlicher Tag bei 39°C. Für die Pausen erkunden wir abgelegene Waldpisten, deren Erde leuchtet als sei sie mit Terrakotta belegt.
In Panaji, der Hauptstadt Goas, angekommen, finden wir die bunte Hinterlassenschaft der portugiesischen Kolonialherren vor, die erst 1961, 14 Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes unter Druck der indischen Truppen ihr Protektorat freigaben.
Keiner von uns kannte bisher Südindien, jeder hatte seine Vorstellung davon, doch alles wurde bisher übertroffen. Die Menschen hier sind viel gelassener und ausgeglichener als im Norden. Bei den Pausen werden wir nicht von Menschenmassen fast erdrückt und wir geniessen es, dass man uns aus höflicher Distanz nur beobachtet. Doch ein freundliches Lächeln und angebotene Hilfe wird uns überall entgegengebracht. Der Strassenverkehr läuft hier viel geordneter ab und Thomas schämt sich fast die Hupe zu bedienen, die im Norden regelmässig heiss gelaufen ist. Kurzum hier ist man relaxt und gut drauf.
In Südgoa finden wir in einem Palmenwald eine wahre Oase der Ruhe, um die LC8 und unsere Wäsche wieder auf Vordermann zu bringen. In einer kleinen aus Naturstein gemauerten, halboffenen und mit Palmblättern gedeckten Hütte am Meer, mit einer kleinen Terrasse von einem bunten Baldachin überspannt machen wir es uns für zwei Tage gemütlich, lassen die Seele baumeln, kommen zum ersten Mal zum Lesen und bereiten uns auf unsere Radiosendung im Juni vor. Bunte Vögel lassen sich über uns auf den Palmen nieder und Affenhorden spielen mit artistischem Geschick in den Bäumen.
22.02.2009. Um es vorweg zu nehmen, der Tag fing schon schlecht an. In den letzten vier Jahren haben wir mit dem Motorrad über 30.000 km in neun Ländern Asiens zurückgelegt und noch nie wurden wir von der Staatsmacht um Geld gebeten. Bis heute Morgen an der Bundesstaatsgrenze von Goa nach Karnataka. Unter dem Vorwand Pässe und Fahrzeugpapiere vorzuzeigen schickt man mich bestimmend zu dem Boss des Kontrollpostens, an dem gelangweilt, barfüssig im Schatten dösend einige Polizisten herumlungern. Ein für die sonst so formalistischen indischen Behörden ein beschämendes Bild, eine Szene wie eine mittelalterliche Wegelagerei. Beim Chef angekommen zeigt dieser überhaupt kein Interesse an unseren Papieren, sondern fragt ganz unverblümt nach einem Geschenk. Als ich ihm klar mache, dass meine Glasperlen gerade ausgegangen sind und ich nichts zu verschenken habe verzieht sich seine Miene düster grollend und er gibt mir durch Reiben des Daumen und Zeigefingers zu verstehen, was er möchte. Wer mich kennt weiss, dass ich auf solche Dinge sehr sensibel reagiere und ich verlange sofort seinen Namen. Plötzlich ist der Mann taub und weisst mich mit einer Handbewegung und barschem Go, Go, Go an, dass zeltähnliche Büro zu verlassen. Ich bestehe jedoch auf den Namen und drohe mit einer Nachricht an die deutsche Botschaft. Nun wird es eng. Das Ende vom Lied ist, dass ich hochkant rausgeworfen werde. Zu allem Überfluss wird Claudia auf der Strasse von den anderen uniformierten Müssiggängern um Geld und Zigaretten angebettelt. Obwohl wir an der Küstenstrasse entlang fahren, bekommen wir von hier aus das Meer nicht zu Gesicht.
Das westliche Karnataka ist jedoch reich an Flüssen, die von fast undurchdringlichem Urwald gesäumt sind und über lange Brücken überquert werden müssen. Mehrmals unternehmen wir Abstecher zum nahe gelegenen Meer. Trotzdem ist dieser Tag nicht unser Freund. 30 km vor dem Ziel erwischt es unm um ein Haar. Die Fahrbahn ist hier zweispurig in jede Richtung und durch eine kleine Betonmauer geteilt. Hin und wieder sind Lücken heraus gebrochen, die das Wenden in die Gegenrichtung ermöglichen. Ein links von uns fahrender LKW zieht unvermittelt fast rechtwinklig einer Solchen entgegen und wir fahren mit etwa 90 km/h, die Mauer zur Rechten, dem wegen Gegenverkehr in die Betonlücke langsam einfahrenden LKW entgegen. Ich mache Alles zu, das Hinterrad blockiert und stellt sich rutschend quer. Aufmachen, Zumachen, das Rad blockiert wieder und stellt sich abermals quer. Auch vorne greifen alle vier Beläge voll zu. Das Gewicht von hinten drückt gnadenlos und die Gabel scheint mit Pudding gedämpft zu sein. Eine Sekunde sehen wir uns Beide quer unter den LKW rutschen oder frontal in seine rechte Seite einschlagen. Dann die Erlösung. Er findet eine Lücke und bewegt sich wie in Zeitlupe vorwärts. Wir schlingern ein paar Zentimeter an seinem Heck vorbei. So eng war es noch nie! Überfüllt mit Adrenalin und Angsthormonen ( eine äusserst gefährliche Mischung) nehme ich die Verfolgung auf und stelle mich quer vor den LKW. Als ich versuche den jugendlichen, völlig überforderten Fahrer aus dem Führerhaus zu ziehen, kann mich Claudia gerade noch vor Schlimmeren abhalten. Wieder einmal wird uns bewusst, dass auf indischen Strassen überall hämisch grinsende Gefahren lauern können.
Der weitere Weg nach Mysore ist ein wahres Mogliland, wie aus dem Dschungelbuch. Üppig grüner Pflanzenbewuchs scheint die Strasse aufzufressen und wilde Affenbanden überqueren tobend die Fahrbahn. Hier und da ein Elefant. Wir warten geradezu darauf, dass Schirkhan und Balu unseren Weg kreuzen.
Mysore ist eine unglaublich saubere Stadt und der Strassenverkehr läuft äusserst diszipliniert ab, sogar Einbahnstrassenregelungen werden eingehalten. Die Stadt bietet zwei echte Highlights, einen der schönsten Basare, den wir bisher in Asien besucht haben, und den imposanten Maharadschapalast, dessen Umrisse bei Einbruch der Dunkelheit für eine Stunde mit abertausenden Glühbirnen beleuchtet ist. Nicht gerade umweltfreundlich und deshalb gibt es in dieser Zeit auch keine Strassenbeleuchtung.
Etwa 100 km südwestlich von Mysore beginnt der Bandipur Nationalpark, der an die Niglgiri Hills angrenzt. Schütterer Busch- und Baumbewuchs, mit im Hintergrund hoch aufragenden Bergen kennzeichnen diese Landschaft. Hier leben wilde Elefanten, Tiger und Leoparden. Nur eine schmale Strasse führt hindurch und unentwegt kreuzen Hirsch- und Rehrudel, Mungos und Affen die Fahrbahn. Die Stadt Ooty liegt auf über 2200 m in den Nilgiris. Eine winzige Strasse, mit 36 Haarnadelkurven und die oftmals mit den nachfolgend sehr steilen Rampen nur im ersten Gang zu fahren sind, führt hier herauf. Hier Oben ist es angenehm kühl, doch wieder tief Unten, in der Küstenebene angekommen, weht uns bis Cocchi im Bundesstaat Kerala ein schwül heisser Fahrtwind entgegen.
Cocchi kann seinen niederländischen und portugisischen Kolonialursprung nicht verleugnen. Kleine Kaufmannsbuden aus Fachwerk, eine katholische Kirche, in der die Zeit stehen geblieben scheint. Alles eingerahmt von Palmen, mit sandigen Wegen, die zum Meer führen. Kann all Das zueinander gehören? In Cocchi schon. Die uralten chinesischen Fischernetze, die noch heute mit grossen steinernen Gegengewichten betrieben werden, vervollständigen das Bild der langen Vergangenheit von Gewürz-, Stoff- und Edelsteinhandel.
Schon seit Tagen ist es schwül heiss und Moskitospray unser allabendliches Parfum. Hier im Hinterland Keralas, den Backwaters, erstreckt sich ein mehrere hundert Kilometer langes verzweigtes Kanalsystem durch Urwald und Reisfelder. Aus Sisal, Bambus und Palmblättern gefertigte Fischer und Hausboote schippern emsig auf diesen Wasserstrassen herum. Anders als in Goa findet man hier fast menschenleere Strände mit kleinen Fischersiedlungen vor, in denen die Zeit stehen geblieben scheint.
28.02.09, nur noch ein paar hundert Kilometer trennen uns von der Südspitze Indiens, eigentlich wollten wir schon am frühen Nachmittag am Cap sitzen und auf Wasser schauen, doch am heutigen Samstag scheint grosser Wahlkampftag in Kerala zu sein und die Strassen sind vollgestopft mit Bussen voller grölender Anhänger der Kandidaten, die wie in monotonen religiösen Gesängen immer wieder Parolen herunterbeten. Dann ist es endlich so weit. 6304 km liegen hinter uns und wir stehen am Cap Comorin, wo arabisches Meer und der Golf von Bengalen zusammenfliessen, lands end of India.