Nordwest Indien

 

Nach einem schlaflosen Flug von Frankfurt nach Delhi versuchen wir uns wieder auf Indien einzustellen. Es braucht Zeit die ungeschriebenen Gesetze auf den Strassen, jetzt noch als Fussgänger, zu verinnerlichen, beim Überqueren der Strasse, hier bei Linksverkehr, nicht einfach über den Haufen gefahren zu werden, die Empfindlichkeit der Ohren auf die schrillen Geräusche einzustellen. Wir brauchen diese Zeit, da wir nicht wie zuvor uns langsam angenähert haben, sondern hineingeworfen wurden in diesen Trubel, die Farben und Gerüche. Nach einem Tag ist es aber wieder da, das Gefühl, das uns mit Indien zu verbinden scheint. Unsere Neugier ist gross auf das, was wir noch nicht von diesem Land kennen.

Am 02.02.09 zollen wir in einer für hiesige Verhältnisse absoluten Rekordzeit von fünf Stunden das Motorrad aus. Unser Zollagent bricht hierbei unter der Last der in dieser Zeit angesammelten Papiere und Formulare fast zusammen. Die Holzkiste wird nun per LKW zum Haus unserer Freunde in Delhi gebracht. Sechs Inder sind notwendig, um das rund 300 kg schwere Ungetüm von der Ladefläche auf den sicheren Boden zu bringen. Als Thomas nach dem Zusammenbau der neuen KTM LC8 Adventure R bei einer Probefahrt im gesamten Viertel für helle Aufregung sorgt, warten wir ungeduldig auf unseren Aufbruch nach Norden. Wir beschliessen jedoch uns noch einen Tag Zeit zu nehmen, um richtig anzukommen.

Moschee Delhi

Old Delhi blieb uns bisher versagt und so stürzen wir uns hinein in das chaotische Gewirr aus Gassen, Bazaren und Gerüchen jeder Art. Auf dem Markt für Autoteile finden wir Dinge, die nachts zuvor gestohlen wurden oder bei uns zu Hause noch nicht einmal Schrottwert haben. Am Abend dann die Überraschung, wir erhalten die uns in Deutschland versagten Visa für Bangladesch. Nach einem herzlichen Abschied von unseren Freunden und Gastgebern Conni und Thomas, die uns den Einstieg wirklich leicht gemacht haben, kann es nun endlich losgehen.

Wir kämpfen uns durch das allmorgendliche Verkehrschaos von Delhi nach Nordosten hinaus, Richtung Haridwar einer heiligen Stadt am Oberlauf des Ganges. Es dauert lange, bis wir ländliche Gebiete erreichen und finden uns an unserem Etappenziel in einer recht verschmutzten, spirituellen Stadt ohne Fleischgerichte und Alkohol, dafür mit vielen Pilger, Ashrams, heiligen Männern und die es gerne sein möchten, sowie schlechten Hotels wieder. Die KTM ruht zusammen mit Müll in einem verschlossenen Hinterhof und wir nehmen mit einem Zimmer ohne Toilettenspülung und kaltem Wasser vorlieb. Am Abend erleben wir das alltägliche Fest zu Ehren des heiligen Ganges mit mystischen Gesängen, Glockenläuten, Fackeln und Feueropfern. Abgesehen von dreisten Spendeneintreibern und ein wenig Jahrmarktstimmung ist es doch ein bewegtes Erlebnis den tiefen Glauben der Hindus zu erleben.

Am 05.02.09 brechen wir nach Shimla auf, jener Stadt in den Ausläufern des Himalaya, die einst den englischen Kolonialherren als Sommerfrische vor der drückend heissen Gangesebene diente. Deshalb sind hier noch viele alte morbide Herrenhäuser zu finden die zusammen mit dem indischen Baustil einen verwirrenden Eindruck hinterlassen. Wir verlassen den Bundesstaat Uttaranchal und schlängeln uns nach Himachal Pradesh hinein. Thomas ist total begeistert vom Motor der neuen KTM, die sich traumhaft, trotz unseres hohen Gewichtes auf den nicht endenden Kurven manövrieren lässt. Er ist jedoch immer in Habachtstellung, was gleich passieren könnte. Ob Affen auf der Strasse sitzen, ein Hund oder eine Ziege diese passiert, Kühe versuchen hier zu weiden, ein defekter LKW mitten auf der schmalen Fahrbahn steht oder ein Überholmanöver im Gegenverkehr folgt.

Die Stadt Shimla ist steil an einen Bergrücken gebaut, der unter der Last der Häuser zusammenzubrechen scheint. Hier geht fast alles ins Lotrechte, so auch die lange und extreme steile Auffahrt zu unserem Hotel. So steil, dass trotz ordentlichem Schwung im zweiten Gang kein Weiterkommen möglich ist und wir die Nasen in den Himmel gestreckt stehen bleiben. Trotz bremsen rutscht die KTM durch das hohe Gewicht wie auf Glatteis auf dem sonst griffigen Asphalt rückwärts hinunter und bricht letztendlich nach hinten aus. Wir finden uns auf der Seite liegend wieder. Alles ist gut gegangen, wir und das Motorrad haben keinen Kratzer abbekommen, der äusserst stabile Koffer hat Schlimmeres verhindert. Der Lohn des Missgeschicks, ein super Hotel mit phantastischer Aussicht auf die Hügelketten des Himalaya.

Am 07.07.09 liegt eine Bergetappe vor uns. Kurve um Kurve, hunderte davon, schwingen wir weiter nach Norden mit dem Ziel Dharamsala, der Exilheimat des Dalai Lama. Der indische Strassenbau hat hier einiges geleistet und so finden wir fast immer perfekten Asphalt für ungetrübten Fahrspass vor.

Reifenflicker

Als wir eine Ebene erreichen und nur noch 80 km vor uns liegen fahren wir uns hinten einen Plattfuss ein. Noch besteht die Chance Dharamsala bei Tageslicht zu erreichen, doch was folgt, sei mit kurzen Worten geschildert: Der Reifenflicker, den Thomas findet, preist seine Arbeit mit “Fast + Furious” an. Als der Meister dann nach vollbrachter Arbeit mit einer undichten Fusspumpe versucht den Reifen mit 7,5 bar in das Felgentiefbett zu strampeln vergeht eine halbe Stunde. Kosten : 0,90 Euro. Es kann weitergehen, 20 km später erneut Plattfuss hinten. Wir stellen fest, dass der Schlauch zwar schnell aber nicht richtig repariert wurde. Als der Ersatzschlauch eingebaut und alles wieder an Ort und Stelle ist, ist es bereits stockdunkel. Fast wie Blinde tasten wir uns die steilen Berghänge zu unserem Tagesziel empor.

Am nächsten Morgen zeigt sich Dharamsala dann von seiner besten Seite, bei strahlenden Sonnenschein geniessen wir die Ausblicke auf die frisch verschneiten Berge des Himalaya und tauchen ein in die saftig grünen und vom Morgendunst überzogenen Ebenen von Punjab. Über den südlichsten Zipfel von Kashmir nehmen wir für die nächsten 4500 km Kurs Süd auf. Vor uns liegen die fruchtbaren Ebenen von Pumjab und Haryana, die Kornkammern Indiens. Der Raps steht hier schon in voller Blüte und die topfebene Landschaft ist bis Mittag mit einen frischen Schleier aus kühlem Dunst überzogen.

Menschen

Als die ersten Kamele auftauchen und kleine Sandverwehungen auf der Strasse zur Vorsicht mahnen, wissen wir, dass Rajasthan, das Land der Mogule und Wüstenschlösser nicht mehr weit ist. Im Distrik Shekhavati einem alten Handelzentrum am Rande der Wüste Thar finden wir ein herrliches Havele, ein altes, zu einem Hotel umfunktioniertes Kaufmannshaus als Bleibe für die Nacht. Mit den bunten Wand- und Fassadenmalereien individuell im alten Stil eingerichtete Zimmer und einem Dachrestaurant mit Blick über die Stadt und die angrenzende Wüste ist es eines der schönsten Hotels in denen wir in Indien bisher eingekehrt sind.

10.02.09, schnurgerade führt das Asphaltband in die Wüste Thar hinein. Immer wieder begegnen und Kamelkarren, die oft schwer beladen landwirtschaftliche Produkte transportieren. Trotz motorisiertem Fernverkehr scheint hier die Zeit ein wenig stehen geblieben zu sein, man besinnt sich auf die Tradition.

In Bikaner ist es Zeit der KTM etwas Gutes zu tun und eine kleine Inspektion mit Ölwechsel und einen Rundumcheck durchzuführen. Uns bleibt auch noch genügend Zeit für einen kleinen Streifzug durch die mittelalterlich anmutenden Strassen der Stadt. Unser nächstes Ziel ist Jaisalmer, die Wüstenstadt im Herzen der Tahr. Immer tiefer dringen wir in eine mit Sand und Geröll umgebene Landschaft.

Im Wechsel von der gut ausgebauten Strasse und einsamen Geröllspisten erreichen wir unser Tagesziel. Obwohl der boomende Tourismus Jaisalmer einiges von seinem Charme genommen hat, ist es eine faszinierende alte Oasenstadt und die engen und verwinkelten Gassen des Forts mit seinen 99 wuchtigen Bastionen lassen schnell Raum und Zeit vergessen. Der 12.02.09 ist ein Offroadtag. Wir nähern uns dem militärisch stark gesicherten Bereich nahe der pakistanischen Grenze mit herrlichen weit geschwungen Dünen und groben Schotterpisten.

Wuestenpiste

Trotz des hohen Gewichts der KTM bügelt das Fahrwerk die vielen derben Passagen glatt und es macht wieder einmal richtig Spass sich in solchem Gelände bewegen zu können.

Für die Strecke nach Jodhpur wählen wir fast ausnahmslos kleine kaum befahrene Nebenstrassen, die uns vorbei an kleinen Siedlungen mit strohbedeckten Lehmhütten in die blaue Stadt mit dem alles überragenden Meherangarh Fort führen. Wir streifen durch bunte quirlige Basare, wo von Schnabelschuhen, duftenden Ölen bis zu riesigen Gusspfannen und vergänglichem Allerlei aus Kunststoff alles angeboten wird.

Am nächsten Tag sind wir auf dem Weg nach Udaipur. Jene Stadt oder besser gesagt jenes Palastes inmitten eines Sees, das durch den James Bond Streifen Octopussy über die Grenzen Indien hinweg berühmt geworden ist. Es soll die romantischste Stadt Rajasthans sein.

Udaipur

Im gedeckten Weiss thront der Lake Palace vor den ockerfarbenen Hügeln der Aravallikette und scheint auf dem Wasser zu schwimmen. Er beherbergt heute ein Luxushotel mit Preisen von über 1200 US Dollar für die Suite pro Nacht und wird von reichen Indern gerne besucht. Lange sitzen wir am Abend auf den Stufen, die zum See hinunterführen, blicken auf den auch für uns unerreichbaren Lake Palace und die neben uns stehenden kleinen, barfüssigen Kinder, mit von Läusen verfilzten Haaren und Lumpen am Körper – das ist Indiens Realität. Man wird hier sehr nachdenklich, denn auch wir bewegen uns für Viele in unvorstellbarem Luxus fort.

Die Landschaft von Rajasthans Süden erscheint uns wie eine eng aneinanderliegende Ansammlung überdimensionaler Maulwurfshaufen, durch die sich die Strasse in weit geschwungenen Bögen hindurchschlängelt. Diese karge Hügellandschaft ist mit knallgrünen Farbtupfern der kleinen bäuerlichen Siedlungen gespickt. Es ist für uns kaum vorstellbar, welch saftig grüne Umgebung der alljährliche Monsun in diesem sonst so trockenen Gebiet hinterlässt. Eine annähernde Vorstellung hiervon erhalten wir in den riesigen Flussbetten, die wir durchqueren.

Im Bundesstaat Madhya Pradesh bekommen wir zunächst wieder einmal den hier fehlenden Länderfinanzausgleich zu spüren. Mit kaum mehr als 35 km/h holpern wir um tiefe Schlaglöcher und bis zu 20 cm hohe Absätze im Asphalt herum.Immer weniger Kamele prägen das Strassenbild, dafür lassen sich die ersten Arbeitselefanten blicken, die unbeirrt vom lärmenden und hupenden Verkehr gemächlich auf der Strasse entlangtrotten. Hier lohnt es sich abseits der Hauptverkehrsstrassen unterwegs zu sein.In fast jeder kleinen Stadt entdecken wir charmant marode, in Vergessenheit geratene Paläste und Anlagen aus der Mogulzeit.

Am 17.02.09 kommen wir erst spät nach der Durchquerung des Bundesstaates Gujarat an unserem Ziel an. Von fast 600 km mussten wir uns die letzten 170 km! durch staubige Baustellen und den bei Dunkelheit noch chaotischeren Verkehr quälen.