Nepal

 

Seit 12 Jahren besuchen wir regelmässig das kleine Land im Himalaya. Zweimal war bisher Nepal Ziel unserer Motorradreise. Wir freuten uns sehr auf Land und Leute, auf unsere Freunde und auf das Waisenhaus, das wir seit so langer Zeit unterstützen.

Doch dieses Mal ist vieles anders. Zwar ist der Bürgerkrieg offiziell beendet und Nepal seit einigen Monaten nicht mehr Königreich sondern eine Republik, doch wir hörten von Vielen, dass es nicht gut um das Land steht. Chronischer Energiemangel, heftige Unruhen ausgehend von Opposition und benachteiligten Volksgruppen, Ausgangssperren, Strassenblockaden, Schiessereien, Bombenanschlägen, Raubüberfällen und Entführungen. Dinge, die wir in diesem Ausmass von Nepal nicht kennen, machen uns Sorgen.

Mit Äusserst gemischten Gefühlen betreten wir nach schneller und freundlicher Zollabfertigung die staubigen Strassen des Grenzorts und finden im nahegelegenen Lumbini ein Hotel. Hier lecken wir erst einmal die Wunden unseres Sturzes und besuchen den Ort, an dem Buddha vor über 2500 Jahren als Prinz Siddhartha geboren wurde. Im Gegensatz zu Bodh Gaya in Indien ein stiller Ort an dem sich Pilger in den frühen Morgenstunden zur Meditation einfinden.

Pilger in Lumbini

Als wir früh morgens auf die Hauptstrasse in Richtung der Stadt Butwal auffahren wollen, werden wir von der Polizei gestoppt. Die Strasse, ja das ganze Gebiet Richtung Norden, sei blockiert. Kein Weiterkommen. Ausgangssperre. Ausnahmezustand. In der Nacht wurde wieder einmal ein Oppositioneller erschossen und die Emotionen sind hochgekocht. Auf der anderen Straßenseite steht schwer bewaffnetes Militär mit Schrotflinten und Maschinengewehren und der schwarze Rauch brennender Autoreifen zieht durch die Gassen. Um unser Motorrad versammelt sich aus Neugier sofort eine Menschenmenge. Das Militär erkennt das und tut das, was in der angespannten Situation dessen Auftrag ist, Menschenmengen auflösen. Im Laufschritt stürmen sie mit vorgehaltenen Waffen auf uns und die Motorradschaulustigen zu. Verängstigt, fast flüchtend ziehen sich die Menschen um uns herum zurück und wir stehen plötzlich mutterseelenallein in der Strasse und blicken in mehrere Gewehrläufe. Als man erkennt, dass wir Ausländer sind, gibt man uns nach kurzer Diskussion die Fahrt nach Butwal frei. Der Weg dorthin zeigt sich ausgestorben, menschenleer, eine bedrückende geisterhafte Stimmung an diesem sonst herrlichen Morgen. Wir umfahren etliche Straßenblockaden aus Steinen und Baumstämmen, hinter denen sich ein aufgebrachter grölender Mob mit Holzknüppeln und Äxten verschanzt hat. Bürgerkriegsstimmung.

In Butwal finden wir mit der Hilfe neutraler Einheimischer den Weg durch enge unbefestigte Gassen nach Norden, werden immer wieder vom Militär durch aggressive, warnende Handbewegungen von der Hauptstrasse ferngehalten. Nach 20 Minuten ist der Spuk vorbei, in einem halsbrecherischen Manöver umfahren wir den letzten Baumstamm, der die Strasse blockiert, durch einen tiefen Graben und haben freie Fahrt.

Siddharta Highway

Vor uns liegt der Siddharta Highway. Eine 150 km lange traumhafte Gebirgsstrasse, die wir auf Grund der Blockaden im Süden für uns alleine haben. Doch es dauert einige Zeit bis wir dies genießen können. Jeder von uns hängt seinen Gedanken über die jetzige Situation in Nepal nach.

In Pokhara, einem Touristenort an den Ausläufern des gewaltigen Annapurnamassivs, ist nichts von den Unruhen im Süden zu spüren. Wir lernen Rick aus England kennen, der seit fünf Jahren hier lebt. Nach einer Weltumrundung auf einer KTM LC8 Adventure hat er sich hier für immer niedergelassen. Klar, dass es viel zu erzählen gibt. Sein tägliches Brot verdient der Ex-Manager aus London nun mit der Vermietung von Enfield Bullets und anderen Motorrädern an Touristen, doch es sind nicht ganz gewöhnliche Motorräder. Jedes ist einmalig, von der Lackierung bis hin zu verrückten Umbauten, die wohl auf der ganzen Welt nur hier zu finden sind.

Rick

Die letzten 200 km nach Kathmandu stehen an. Auch hier im Mittelgebirge ist nichts von den Unruhen zu spüren. Wir können es wieder genießen die Landschaft und die Menschen, die uns in den letzten 12 Jahren so ans Herz gewachsen sind.

Wie immer halten wir an dem Pass an, der in den weiten Kessel des Kathmandutals hinunterführt. Um es mit ein wenig Melancholie zu sagen, es ist ein bewegendes Gefühl und wir sind ein wenig stolz, es wieder einmal hierher geschafft zu haben. Über 13.000 km liegen nun hinter uns und wir freuen uns gute alte Freunde wiederzutreffen, ein wenig mit ihnen zu feiern und die letzte Woche unserer Reise hier genießen zu dürfen.

In Kathmandu und fast dem ganzen Land gibt es seit einiger Zeit nur 4 Stunden Elektrizität am Tag. Dies schränkt natürlich die eh schon marode Wirtschaft stark ein und lässt diese noch weiter absacken. Ein Teufelskreislauf.

Im touristischen Zentrum der Hauptstadt ist von der Gesamtlage jedoch wenig zu spüren. Fast alles geht seinen gewohnten quirligen leicht verrückten Gang und neben hupenden Autos, klingelnden Fahrradrikschas und Musik mischt sich nun halt noch das Brummen vieler Stromgeneratoren.

Kinderheim

In dem von uns unterstützten Kinderheim im Kathmandutal werden wir mit der KTM aufgeregt empfangen. Die erste Generation ist zu jungen Erwachsenen geworden und wurde nun in die harte Wirklichkeit entlassen, jedoch nicht ohne den weiteren Beistand, Rat und Tat und Hilfe in allen Lebenslagen. Deshalb blicken wir in viele kleine neue Gesichter. Insgesamt 35 Kinder haben hier ein zu Hause und jedes von ihnen sitzt mal stolz, mal schüchtern hoch auf dem Sattel der KTM. Die Biogasanlage läuft auf Hochtouren und wird täglich mit vegetarischen Abfällen aus den Küchen von Restaurants und Hotels gefüttert. Das Farmland ist nochmals erweitert worden, hier gedeihen Salatköpfe, Kohl, Tomaten, Kartoffeln und anderes Gemüse, Ziegen und Hasen stehen in den Ställen. Hiermit kann sich das Kinderheim weitgehend selbst versorgen und langsam fängt die Gastronomie der Hauptstadt an die reinen Bioprodukte zu schätzen.

In unserem Hotelzimmer stapeln sich langsam Geschenke für Freunde, Verkaufsartikel für die Weihnachtsmärkte zu Gunsten des Kinderheimes und natürlich auch nepalesische Antiquitäten für unsere kleine private Sammlung.

Kathmandu ist und bleibt ein exotisches Einkaufsparadies und immer wieder gibt es Neues zu entdecken. Noch einmal verlassen wir für zwei Tage die Hauptstadt. Es geht in den Nordosten zur tibetischen Grenze weit oben zwischen Mittelgebirge und den Himalayariesen. Wir mussten es noch einmal tun, diese 130 km zu fahren. Bester Asphalt wechselt sich mit schönen aber steilen und derben Pistenabschnitten ab. Mal fahren wir hoch über den Tälern und blicken auf die steilen Terrassenfelder hinab, mal durchfahren wir enge Schluchten an reißenden Flüssen entlang. Kleine Bauerndörfer und lebhafte Marktflecken säumen den Weg.

Piste in Nepal

Leider wird in Nepal seit einem Tag wieder einmal das Benzin knapp und das geht so. Der Grund: Die Regierung hat von jetzt auf gleich Tankwagen, die über 20 Jahre alt sind, verboten. Eigentlich keine schlechte Idee, denn es sind wirklich tickende Zeitbomben. Die Benzinspediteure sind hiermit natürlich nicht einverstanden und beschließen kurzerhand im Kollektiv überhaupt keinen Sprit mehr zu transportieren. Wer den längeren Atem hat scheint offensichtlich. Fakt ist, das die Tankstellen im Minutentakt schließen und sich an den wenigen verbleibenden lange Schlangen bilden, bis letztendlich fast der gesamte Verkehr zum Erliegen kommen wird. Auch wir sind davon betroffen und so müssen wir im Gebirge auf Benzinsuche gehen. In einem verschlafenen Nest finden wir einen Schweißer, der nebenbei mit geschmuggeltem chinesischem Benzin eine neue Geldquelle aufgetan hat. Wie viel und mit was das Zeug gestreckt wurde, möchten wir besser nicht wissen und der Meister geht mit Trichter und Schöpfkelle ans Werk.

Klaglos und ohne Murren bringt uns die KTM über wunderbare Kurvenkombinationen wieder Richtung Kathmandu. Auf dem Weg dorthin begegnen wir einem LKW, mit dem auf nicht ganz klassische Weise versucht wurde die Ladung abzuliefern.

LKW

Für die Nacht wählen wir das Dörfchen Nargakot aus. Hoch oben über dem Tal hat man von hier aus einen phantastischen Ausblick auf den Himalaya. Die letzten 20 km müssen wir in strömenden Gewitterregen zurücklegen, das erste Mal auf unserer Reise, dass wir überhaupt nass werden. Bei 8 Grad kommen wir durchgefroren im Hotel an. Für den vorletzten Fahrtag eigentlich unnötig.

Es ist Zeit wieder einmal von Kathmandu Abschied zu nehmen. Unsere KTM, die uns auf der langen Reise ohne Probleme in einigen brenzligen Situationen, auf groben Pisten und durch Millionenstädte treu zur Seite stand wird in eine Holzkiste verpackt und tritt die Heimreise an. Auch wir müssen uns von unseren Freunden verabschieden und hoffen, dass Nepal den richtigen Weg für die Zukunft einschlagen wird. Indien und Bangladesch haben uns fasziniert und unsere Erwartungen wurden voll erfüllt. Jedoch sei jedem Nachahmer ans Herz gelegt, gerade in Indien mit dem Motorrad erst einmal für ein, zwei Wochen hineinzuschnuppern, bevor man sich über so lange Zeit in dieses Verkehrsgetümmel stürzt, das auf Dauer wirklich zermürbend sein kann.

Around India 2009 geht zu Ende und wir sind gespannt, wohin uns unsere nächste Reise führen wird.

Auf bald, Thomas und Claudia