Nordost Indien
Die indischen Grenzbeamten wissen nicht so recht was sie mit uns und der KTM anfangen sollen. So dauert es über eine Stunde, bis der Zollbeamte mit nachdenklicher und hilfloser Miene das Motorrad freigibt. Die Erleichterung ist ihm dann sichtlich anzusehen und er denkt sich wohl, dass er für lange Zeit nicht mehr so viel “Stress” mit ausländischen Fahrzeugen haben wird.
Über 50 Menschen haben in dieser Zeit die KTM umzingelt. Auch die lokale Presse und das Fernsehen hat sich eingefunden. Nachdem wir in einem TV-Interview unsere Geschichte erzählt haben, schiesst der Vertreter der schreibenden Zunft ein paar Fotos von uns und notiert sich lediglich unsere Namen. Als wir am nächsten Morgen die Zeitung aufschlagen, sehen wir uns auf einem grossen Bild wieder. Den Rest hat sich der Reporter zusammengedichtet. “Thomas Lang und Claudia Schmitt sind im Namen des Weltfriedens mit ihrem Motorrad unterwegs auf einer Welttour”, steht da zu lesen. Schönes Motto, das nächste Mal vielleicht.
Zu den Nordoststaaten Indiens gehören 7 Bundesstaaten, die fast gänzlich von Buthan, China, Burma und Bangladesch umschlossen sind. Es ist ein politischer Unruheherd, in dem Raubüberfälle, Sprengstoffanschläge, Entführungen und Schiessereien mit dem Militär und der Polizei nicht unüblich sind. Rebellengruppen kämpfen mit- oder gegeneinander, für oder gegen Autonomiebestrebungen und Delhi lässt sich hier nicht gerne in die Karten sehen. Deshalb ist es für uns nur möglich, drei dieser Bundesstaaten zu durchfahren. Für den Rest sind langwierige Genehmigungsverfahren notwendig, sofern sie überhaupt zu erhalten sind. Da jederzeit mit Übergriffen und Anschlägen auf den Fahrzeugverkehr zu rechnen sei, rät man uns, uns einem schwer bewaffneten Militärkonvoi anzuschliessen, der versucht den Bus- und LKW-Verkehr sicher von der Stadt Agartala durch das Rebellengebiet an die Grenze zum Bundesstaat Assam zu bringen. Wie wägen ab und entschliessen uns es alleine zu versuchen. Alleine sind wir schneller und kriechen nicht mit 30 km/h durch die Wälder Tripuras. Im “kritischen Gebiet” schlängelt sich die Strasse durch dichten Bambusbestand kurvig im ständigen Auf und Ab durch das Land. An jeder Erhöhung, in jeder Kurve hat das Militär gut getarnt Beobachtungsposten und Maschinengewehrstellungen platziert. Kein Teil der Strasse bleibt unbeobachtet. Als wir dem Konvoi aus der Gegenrichtung begegnen, wissen wir, das wir richtig gehandelt haben.
Im Schneckentempo, dicke Russwolken speiend zuckeln die schweren LKW und Busse die Berge hinauf. Sollte der erste lahmgelegt werden, sind die nachfolgenden ein leichtes Opfer. Wir haben die Strasse für uns alleine und erreichen zügig nach 100 km das sichere Assam.
Wir müssen tief gesunken sein. Nach über 10.000 km sieht unsere Motorradbekleidung trotz mehrmaliger Wäsche nicht mehr taufrisch aus und auch an uns ist die eine oder andere lange Etappe oder heikle Situation nicht spurlos vorbeigegangen. Thomas hat etwa 10 kg Gewicht verloren, der Staub und Russ nach einer langen Tagesetappe tut sein übriges. Das Ergebnis, man verweigert uns zunächst in einem Hotel die Obdach. Ein indisches “Mittelklassehotel” wohlgemerkt. Thomas bittet fast devot um ein Zimmer. Nach dem festen Versprechen, dass wir nach einer Dusche besser aussehen, dürfen wir bleiben.
Vom Bundesstaat Meghalaya – Ort der Wolken – haben wir viel erwartet, doch kaum etwas ist so wie es unseren Vorstellungen entsprach. Ganz Meghalaya liegt auf einem Hochplateau auf fast 2000 m. Eine traumhaft kurvige Strasse führt hier durch dichten Bambus und Laubwald, durch zerklüftete Täler hinauf. Oben sieht die Welt ganz anders aus. Der Wind pfeifft über die karge Graslandschaft und Kohlehalden prägen das Bild. Die Ortschaften sind die schmutzigsten und tristesten, die wir in Indien gesehen haben. Hier gibt es nicht viel zu lachen und das sieht man den Menschen an. Der Kohlestaub hat die Häuser und einfachen Hütten mit einer dicken Schicht überzogen und der starke Wind spielt mit Plastikmüll und Papierabfall in den Strassen der kleinen Städte, durch die sich dicht an dicht mit Kohle schwer beladene LKW kämpfen. Keine Ortsdurchfahrt ist befestigt und der Staub der Strassen verdunkelt das Sonnenlicht. Am Strassenrand sammeln grauschwarze Gestalten, es sind Frauen und Kinder, Kohlebrocken ein, um diese an ihren kleinen ärmlichen Behausungen für ein paar Rupies zu verkaufen.Das Hochplateau Meghalayas ist kein Ort, der zum Verweilen einlädt.
Wir nehmen es gerne in Kauf in der Dunkelheit in Guwahati in Assam anzukommen. 2600 Rupies, etwa 40 Euro, übersteigt eigentlich unser tägliches Übernachtungsbudget, doch heute nehmen wir gerne ein wenig Luxus an. Obwohl wir mit Kohlestaub überzogen sind, werden wir freundlich aufgenommen. Im Zimmer erhalten wir dann einen Anruf des Managers. Er heisst uns herzlich willkommen und lässt es sich nicht nehmen, die fremden Indienreisenden kostenlos all inclusive in sein Hotel einzuladen. Herr Sharma füllt unser Reisegepäck dann noch mit zwei Dingen für die Assam weltweit bekannt ist. Wir haben nun ein Kilo ausgewählten Tee und die schärfsten Chillis der Welt in unseren Koffern.
Heute überqueren wir zunächst den Brahmaputra, der neben dem Indus und dem Ganges zu den grössten Flüssen des Subkontinents zählt. Die Brücke, die wir benutzen, ist 1,8 km lang und das an einer schmalen Stelle des Flusses.
Kerzengerade führt die Strasse durch das heisse trockene Delta des Brahmaputra Richtung Westen nur dieser und kleine Zuflüsse aus dem Himalaya haben die Landschaft stellenweise begrünt. Die Etappe ist trist, heiss, beschwerlich und durch viele unbefestigte Abschnitte sehr staubig. In Jaigaon, dem Granzort nach Buthan, wird uns in einem Hotel nochmals die Unterkunft verweigert und so müssen wir in einem sehr einfachen Haus mit Etagentoilette und integrierter “indischer Dusche” die Nacht zum Preis von 4,70 Euro für das Zimmer verbringen.
Unser Ziel visafrei ein paar Stunden in Buthan zu verbringen, erreichen wir nicht. Diese Regelung, so sagt man uns, sei seit einiger Zeit nicht mehr gültig.